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Zum Begriff Qurân





Der Hauptgegenstand dieser kleinen Studie ist der Qurân. Die ursprungliche Bedeutung des Wortes “Qurân” (arabisch: al-qur’ân) stammt vom Verb qara’a “lesen, vortragen, rezitieren”. Al-qur’ân ist eine masdar-Form “Infinitum, Verbalnomen” und lässt sich als “die Lesung, der Vortrag, das Vorlesen, die Rezitation, das zu Rezitierende, das Rezitieren, das Lesebuch” übersetzen. Die Bezeichnung qur’ân bzw. al-qur’ân taucht im Qurân selbst sechzig Mal auf.





Einzelne Gelehrte meinen: Das Wort ist zwar abgeleitet, doch entweder von al-qarn “etwas zueinander zusammenfügen”, oder von al-qarâ’in “die Begleitenden”, da die Âyât “Verse” einander ähneln und bestätigen, oder von al-qar’ “das Sammeln”, da der Qurân eine Ansammlung von Berichten, Geboten, Versen, Sûren usw. ist. Diese Bedeutungen sind - meiner Meinung nach - nebensächlich und zum Teil willkürlich, denn in den meisten, vor allem in den frühen Belegstellen, bedeutet Qurân einfach “Rezitation” oder “Schriftverlesung”.





Es gibt jedoch viele Qurânwissenschaftler, die der folgenden Auffassung sind: Linguistisch gesehen ist das Wort al-qur’an “der Qurân” von keinem anderen Wort abgeleitet; es ist bloß ein Eigenname. Erst in späteren Jahrhunderten und zumal in der Neuzeit ist der Begriff al-qur’an von Gläubigen und Gelehrten schon so sehr als Eigenname für die schriftlich aufgezeichneten und in Buchform gesammelten Offenbarungen verinnerlicht worden. Dementsprechend ist die ursprüngliche Bedeutung als Bezeichnung für den konkreten Vortragsakt mehr oder weniger in Vergessenheit geraten.





Nun ist die Bezeichnung “der Qurân” als Fachterminus zu behandeln. Al-Qattân meint zu Recht, dass es nicht leicht ist, den Begriff “Qurân” fachspezifisch so kurz und gleichzeitig präzise zu definieren. Die meisten muslimischen Gelehrten sind jedoch mit der folgenden Bestimmung des Begriffs “Qurân” einverstanden und darin Übereinstimmend: Der Qurân ist die schriftlich aufgezeichnete und in Buchform gesammelte Offenbarung als herausfordernde Worte Allâhs, die Seinem Gesandten Muhammad in arabischer Sprache herab gesandt und uns in ununterbrochener Weitergabe überliefert wurde und deren Rezitation eine Handlung von Allâhs Andacht (eine gottesdienstliche Handlung) darstellt.





Nach dieser Definition sind also unter Qurân vier verschiedene Dinge zu verstehen:





a) der Vortrag eines Offenbarungstextes an Muhammad selbst





b) der öffentliche Vortrag dieses Textes durch Muhammad





c) der Text selbst, der vorgetragen wird





d) die Gesamtheit des vorzutragenden Textes, d.h. der Qurân als Buch.





Der Qurân ist durch viele Bezeichnungen als Eigennamen und mehrere Eigenschaften gekennzeichnet. Alle diese Namen und Attribute sind dem Qurân selbst zu entnehmen. Im Folgenden erwähnen wir nur die bekanntesten Eigennamen:





1) al-qur’ân “der Qurân”:





„Gewiss, dieser Qurân leitet zu dem, was richtiger ist ...“ (Sûra 17:9)





2) al-kitâb “das Buch”:





„Alif Lam Ra. Dies sind die Zeichen des Buches und eines deutlichen Qurâns.“ (Sûra 15:1)





3) al-furqân “die Unterscheidung”:





„Segensreich ist Derjenige, Der Seinem Diener die Unterscheidung offenbart hat, damit er für die Weltenbewohner ein Warner sei.“ (Sûra 25:1)





4) ad-dhikr “die Ermahnung, mahnende Erinnerung”:





„Gewiss, Wir sind es, die Wir die Ermahnung offenbart haben, und Wir werden wahrlich ihr Hüter sein.“ (Sûra 15:9)





5) tanzil “Herabsendung bzw. Hinabsendung”:





„Und er ist ganz sicher eine Herabsendung des Herrn der Weltenbewohner; mit dem der vertrauenswürdige Geist herabgekommen ist, auf dein Herz, damit du zu den Überbringern von Warnung gehörst, in deutlicher arabischer Sprache“ (Sûra 26:192-194)





6) wahy “Offenbarung, Eingebung”:





„Es ist nur eine Offenbarung, die eingegeben wird.“ (Sûra 53:4)





Die Bekanntesten davon sind die ersten zwei, nämlich: “der Qurân” und “das Buch”. Das weist darauf hin, dass der Qurân - menschlich gesehen - auf zwei Wege bewahrt ist und zwar durch “Auswendiglernen und Rezitation” sowie auch durch “Niederschrift und Aufzeichnung”, worauf wir später im Detail zurückkommen werden.





Qurânwissenschaften





Der Qurân bildet (nicht nur) unter den Muslimen in vielfältiger Weise und aus verschiedenen Gesichtspunkten den Hauptpunkt der Islamstudie. Daher ist vom Beginn der islamischen Geschichte bzw. Kultur, und zwar im siebten Jahrhundert ein umfangreiches Schrifttum um den Qurân entstanden. Der Text des Qurâns lässt sich diesem Schrifttum lückenlos, Wort für Wort entnehmen. So entwickelten sich im Laufe der Zeit Wissenschaften und Unterdisziplinen, die mit dem Qurân mehr oder weniger, direkt oder indirekt zu tun haben. Man bezeichnet alle diese Disziplinen als “Qurânwissenschaft” bzw. “Qurânwissenschaften”.





Es sind Wissenschaften, deren Themen sich auf den Qurân konzentrieren. Diese Themen wie die Frage der Offenbarung, Herabsendung, Rezitation, Lesearten, Auslegung, Bewahrung, Sammlung, Niederschrift, des Wundercharakters des Qurâns, der Anlässe der Offenbarung einzelner Qurânverse bzw. Qurânsuren und nicht zuletzt das Problem der Qurânübersetzung bzw. Qurânwiedergabe bildeten und bilden nach wie vor die Schwerpunkte dieser Wissenschaften. Hier behandelt man eingehend und genau fast alle Fragen, die mit dem Qurân zusammenhängen. Daher lässt sich mit der Bezeichnung Qurânwissenschaften in Pluralform die Tatsache dieser Vielfältigkeit besser verdeutlichen, so dass jeder Schwerpunkt davon in sich eine selbständige Disziplin darstellt.





Die nachfolgenden Artikel versuchen, (hauptsächlich aus islamischer Sicht) einen Überblick über einige wichtige Disziplinen der Qurânwissenschaften zu geben. Hier wurde mit großer Mühe versucht, das Wesentliche so einfach, so klar wie möglich, ohne Einbuße an Tiefe, zu vermitteln.





Niederschrift des Qurân





 





Die Prophetengefährten lernten den Qurân auswendig und trugen ihn mündlich vor. Neben dieser mündlichen Bewahrung des Qurân wurde er auch zu Lebzeit des Gesandten Allâhs niedergeschrieben.





 





Der Qurân wird immer wieder Al-Kitâb „das Buch“ genannt. Das Konzept des Kitâb im Qurân selbst ist zwar oft nicht mit der Vorstellung von einem Buch zu identifizieren, wie sie heute vorherrscht. Nach diesem Konzept kennt das Kitâb als Bezeichnung für den Qurân nicht die Dichotomie von Mündlichkeit und Schriftlichkeit des offenbarten Wortes, insofern die Offenbarung eine notwendigerweise zu rezitierende Schrift ist:





 





„Diejenigen, denen Wir die Schrift gegeben haben, lesen sie, wie es ihr zusteht; sie glauben daran.“ (Sûra 2:121)





 





„Genügt es ihnen denn nicht, dass Wir das Buch auf dich hinab gesandt haben, das ihnen verlesen wird?“ (Sûra 29:51)





 





„Gewiss, diejenigen, die Allahs Buch verlesen,...“ (Sûra 35:29)





 





Wenn wir die oben erwähnten Qurânverse (und zahlreiche andere) vergleichen, dann stellen wir Folgendes fest: Das Kitâb bedeutet explizit die Schriftlichkeit sowie auch - jedoch implizit - die Mündlichkeit. Das kann auch schon als eine der Eigenarten des Qurân in Betracht genommen werden.





 





Als Buch im eigentlichen Sinne, also als ein einheitliches, irgendwie zusammengeheftetes, geschriebenes oder gedrucktes Dokument von einer bestimmten Größe, liegt der Qurân jedoch erst nach der Kodifizierung der verstreuten Manuskripte unter dem 3. Kalifen Uthmân vor.





 





Nun gehen wir auf die Geschichte des Vorganges der Niederschrift des Qurâns ein.





 





Es gab unter den Prophetengefährten einige Personen, die schreiben und lesen konnten. Zu ihnen gehörte Zayd ibn Thâbit. Diese Personen wurden vom Propheten beauftragt, den Qurân niederzuschreiben. Daher bezeichnet man sie als „Schreiber der Offenbarung“. Als Schreibmaterial dienten Zettel, Steine, Palmblätter, Seidentücher, Holzstücke oder Leder.





 





Als der Prophet Muhammad  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken  den Qurân seinen Gefährten diktierte, versicherte er, dass es sich dabei um die Offenbarung handelte, die ihm von Allâh zuteil wurde. Er hat nicht alles auf einmal dikktiert. Muhammad  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken  erhielt diese Offenbarungen in Bruchstücken. Es ist durchaus natürlich, dass der offenbarte Wortlaut jeweils die Lösung eines zeitgemäßen Problems betraf:





 





Wenn einer seiner Genossen starb bedurfte es für diesen Tag einer Offenbarung über die Erbschaft und nicht etwa über das Gesetz, das z. B. wegen alkoholischen Getränken oder wegen Mordes zur Anwendung kommen sollte.





 





Die Offenbarungen kamen ihm also bruchstückweise und von Zeit zu Zeit, und sobald er sie erhalten hatte, gab er sie weiter. Er verlangte von seinen Gefährten nicht nur, sie auswendig zu lernen, sondern auch sie niederzuschreiben und Vervielfältigungen anzufertigen. Nach jeder neuen Offenbarung bestimmte er außerdem die Stelle, die dieser neue Wortlaut im Gefüge des Ganzen einnehmen sollte; denn der Qurân bildet keine mechanisch-chronologische Einteilung, was wir später auch behandeln werden.





 





Theoretisch hätte die Offenbarung von vornherein als primärer schriftlicher Text oder gleich als Buch vorgestellt werden können vergleichbar mit den Schriften der Juden und Christen unter den Arabern doch dies war nicht der Fall.





 





Vergleichen wir das Wort Iktatabahâ „schreiben; abschreiben, kopieren“im Vers 5 in der makkanischen Sûra 25:





 





„Und sie sagen: „(Es sind) Fabeln der Früheren, die er sich aufgeschrieben hat.“ So werden sie ihm morgens und abends vorgesagt.“ (Sûra 25:5)





 





Dementsprechend können wir Folgendes herauslesen: Der Prophet hat sich die Offenbarung aufschreiben lassen, die von den Makkanern als Fabeln der Alten bezeichnet wurden.





 



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