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Für Europa und die westliche Zivilisation waren die Beiträge des islâmischen Spaniens von unschätzbarem Wert. Als die Muslime nach Südspanien kamen, das sie Al-Andalus (von vandalos, Wandalen) nannten, hatten die Wandalen, ein gotischer Stamm aus dem Norden, einen Großteil Europas überrannt und die Antike Griechenlands und Roms in Finsternis gestürzt. Das islâmische Spanien wurde dann eine Brücke, durch die das wissenschaftliche, technologische und philosophische Erbe der abbasidischen Zeit gemeinsam mit den Errungenschaften Andalusiens selbst nach Europa herübergegeben wurde.





 





Im ersten Jahrhundert der islâmischen Herrschaft in Spanien entfaltete sich die Kultur aus der blühenden Zivilisation, die von den Abbassiden in Bagdad entwickelt worden war. Doch danach, während der Herrschaft von ‘Abdurrahmân III. (912-961), begann das islâmische Spanien seine eigenen Beiträge beizusteuern.





 





‘Abdurrahmân III. war leidenschaftlich an beidem interessiert, an der Religion und den säkularen Wissenschaften. Er war auch entschlossen, der Welt zu zeigen, dass sein Gerichtshof in Cordoba von der Größe her dem Gerichthofs des Kalifen von Bagdad entspricht. Ohne Zeit und Kosten zu sparen, ließ er Bücher aus Bagdad bringen und warb Gelehrte an, indem er verlockende Angebote machte. Als Ergebnis begannen schon bald Gelehrte, Poeten, Philosophen, Historiker und Musiker nach Andalusien abzuwandern. Rasch wuchs auch eine Infrastruktur von Bibliotheken, Krankenhäusern, Forschungsinstituten und islâmischen Studienzentren, die eine intellektuelle Tradition und ein erzieherisches System gründeten, die Spanien für die nächsten vier Jahrhunderte herausragend machten.





 





Einer der frühesten Gelehrten, der von Al-Andalus angezogen wurde, war ‘Abbâs ibn Firnâs, der nach Cordoba kam, um Musik zu lehren (damals ein Zweig der mathematischen Theorie) und um das Gericht von ‘Abdurrahmân in Bagdad über die aktuellsten Nachrichten in diesem Gebiet zu informieren. Weil er nicht zu denen gehörte, die sich auf ein einziges Studiengebiet beschränken, begann Firnâs schon bald, die Flugmechanik zu untersuchen. Er konstruierte Flügel aus Federn auf einem Holzrahmen und unternahm ungefähr sechshundert Jahre vor Leonardo da Vinci den ersten Flugversuch. Später, nachdem er das Experiment mit einer Rückenverletzung überlebt hatte, konstruierte er zudem ein berühmtes Planetarium. Es wurde nicht nur mechanisiert, die Planeten kreisten tatsächlich, sondern simulierte auch Himmelsphänomene wie Donner und Blitz.





 





Wie in den abessinischen Lernzentren war das Interesse des islamischen Spaniens für Mathematik, Astronomie und Medizin immer lebendig – teilweise auf Grund ihres offensichtlichen Nutzens. Im zehnten Jahrhundert begannen Mathematiker aus Cordoba damit ihre eigenen Beiträge zu leisten. Der erste ursprüngliche Mathematiker und Astronom aus Andalusien war Maslama Al-Madschritî, der 1008 starb. Ihm gingen kompetente Wissenschaftler voraus – Männer wie Ibn Abû ‘Ubaida aus Valenzia, ein führender Astronom des 9. Jahrhunderts. Doch Al-Madschritî war eine besondere Koryphäe. Er schrieb eine Reihe von Arbeiten über Mathematik und Astronomie, studierte und arbeitete die arabische Übersetzung des Almagest von Ptolemäus aus und erweiterte und korrigierte die astronomischen Tabellen des berühmten Al-Chuarizmî. Er stellte auch Umrechnungstabellen zusammen, in denen Daten des persischen Kalenders mit Hidschra-Daten verknüpft wurden, so dass die Ereignisse der Vergangenheit Persiens zum ersten Mal mit Genauigkeit datiert werden konnten.





 





Az-Zarqalî, dem Westen als Arzachel bekannt, war ein weiterer führender Mathematiker und Astronom, der in Cordoba im elften Jahrhundert glänzte. Er kombinierte theoretisches Wissen mit technischer Fertigkeit und stach dadurch bei der Konstruktion von Präzisionswerkzeugen für den Gebrauch in der Astronomie heraus. Er baute eine Wasseruhr, mit der es möglich war die Tages- und Nachtstunden zu bestimmen und die Tage der Mondmonate anzuzeigen. Er leistete auch seinen Beitrag zu den berühmten toledischen Tabellen, einer hochakkuraten Sammlung astronomischer Daten. Arzachel war ferner für sein Buch der Tabellen bekannt. Viele „Bücher der Tabellen“ wurden zuvor zusammengestellt, doch das Seine ist ein Kalender, der Tabellen enthält, die es ermöglichen die Tage zu finden, an denen die koptischen, römischen und persischen Monate sowie die Mondmonate beginnen. Weitere Tabellen geben zu jeder Zeit die Positionen von Planeten an und wieder andere erleichtern die Prognose für Sonnen- und Mondfinsternisse. Er stellte auch wertvolle Tabellen über Längen- und Breitengrade zusammen.





 





Ein weiterer wichtiger Gelehrter war Al-Bitrudschî, der eine neue Theorie über Himmelsbewegungen entwickelte, die in seinem "Buch der Gestalt", einem Werk, das später im Westen berühmt wurde, auf den Ansichten von Aristoteles beruht. Die Namen vieler Sterne sind immer noch die, die ihnen von muslimischen Astronomen gegeben wurden, wie etwa Altair (von Al-Tair, „Der Flieger“), Deneb (von Dhanab, „Schweif“) und Betelgeuse (von Bait Al-Dschausa, „das Haus der Zwillinge“ oder „Gemini“). Andere Begriffe, die heute noch gebräuchlich sind, wie beispielsweise Zenit, Nadir und Azimut, stammen ebenfalls aus dem Arabischen und spiegeln somit die Arbeit der muslimischen Astronomen aus Andalusien und deren Einfluss auf den Westen wieder.





 





Wissenschaftler des islâmischen Spaniens trugen auch zur Medizin, der muslimischen Vorzeigewissenschaft, bei. Das Interesse für Medizin geht bis in die früheste Zeit zurück (der Prophet  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken  selbst merkte an, dass es eine Heilung für jede Krankheit gibt), und obwohl die besten muslimischen Ärzte in Bagdad tätig waren, leisteten die Ärzte in Andalusien ebenfalls wichtige Beiträge. Ibn An-Nafîs etwa entdeckte die pulmonale Blutzirkulation.





 





Vor allem im zehnten Jahrhundert brachte Andalusien eine große Zahl ausgezeichneter Ärzte hervor, von denen einige griechische Medizin-Werke studierten, die im „Haus der Weisheit“ in Bagdad übersetzt wurden. Zu diesen gehörte Ibn Schuhaid, der in einem grundlegenden Werk empfahl, dass Medikamente nur benutzt werden sollten, wenn der Patient auf eine Diät nicht anschlägt. Er betonte, dass in allen Fällen nur leichte Medikamente verwendet werden sollten, außer in den schlimmsten. Eine weitere wichtige Persönlichkeit war Abû Al-Qâsim Az-Zahrâwî, der berühmteste Chirurg des Mittelalters. Im Westen bekannt als Abulkasis und Al-Bukasis, war er der Autor des Tasrîf, einem Buch, das ins Lateinische übersetzt und im späten Mittelalter eine führende medizinische Schrift an europäischen Universitäten wurde. Dessen Teilbereich über die Chirurgie beinhaltet Abbildungen von Operationsinstrumenten mit elegantem, funktionalem Design und großartiger Genauigkeit.





 





Andere Teilbereiche beschreiben Amputationen, Augen- und Zahnoperationen und die Behandlung von Wunden und Frakturen. Ibn Zuhr, bekannt als Avenzoar war der Erste, der perikardiale Abszesse beschrieb und falls nötig, Tracheotomie verschrieb. Er war ein begabter, erfahrener Arzt.





 





Ibn Ruschd schrieb ein wichtiges Werk über medizinische Theorien und Regeln.





 





Der letzte große andalusische Arzt, Ibn Al-Chatîb, auch ein bekannter Historiker, Poet und Staatsmann, schrieb ein wichtiges Werk über die Theorie der Ansteckung, in dem er sagte: „Die tatsächliche Infizierung wird dem Untersuchenden klar, wohingegen derjenige, der nicht damit in Kontakt kommt, in Sicherheit ist.“ Er beschrieb, wie die Übertragung durch Kleidung, Gefäße und Ohrringe verursacht wird.





Das islâmische Spanien leistete Beiträge zur medizinischen Ethik sowie zur Hygiene. Ibn Hazm, einer der angesehensten Theologen und Juristen, bestand darauf, dass moralische Qualitäten bei einem Arzt verpflichtend seien. Ein Arzt, schrieb er, sollte nett, verständnisvoll, freundlich und zudem fähig sein, Beleidigungen und negative Kritik zu ertragen. Des Weiteren, fuhr er fort, sollte ein Arzt seine Haare und Fingernägel kurz halten, saubere Kleidung tragen und sich würdig verhalten.





 





Die andalusischen Wissenschaftler interessierten sich ferner für die Botanik als Disziplin der Medizin. Ibn Al-Baitâr, der berühmteste andalusische Botaniker, schrieb beispielsweise ein Buch namens „Leichte Medikamente und leichtes Essen“, ein alphabetisch geordneter Leitfaden medizinischer Pflanzen, von denen die meisten aus Spanien und Nordafrika stammen und die er sein Leben lang erfasste. In einer anderen Abhandlung listet Ibn Al-‘Awwâm Hunderte von Pflanzenarten auf und gibt genaue Anweisungen hinsichtlich ihrer Zucht und Anwendung. Er schreibt zum Beispiel, wie man Bäume veredelt, Kreuzungen durchführt, Braunfäule, Insekten und Pest aufhält und Parfüm herstellt.





 





Ein weiteres wichtiges Studienfach in Andalusien war das Geografie-Studium. Teils aus wirtschaftlichen und politischen Erwägungen, jedoch hauptsächlich aus einer überaus aufwendigen Neugier über die Welt und ihre Bewohner heraus, begannen die Gelehrten des islamischen Spaniens mit Werken aus Bagdad und gingen weiter um Beiträge wie "Die Grundsätzliche Geographie von al-Andalus" von Ahmad ibn Muhammad Ar-Râzî und "Eine Beschreibung der Topographie von Nordafrika" von Muhammad ibn Yûsuf Al-Warrâq hinzuzufügen. Ein weiterer Beitragender zur Geografie von Andalusien war Al-Bakrî, ein wichtiger Minister am Gerichtshof von Sevilla, aber auch ein versierter Sprachwissenschaftler und Literat. Eines seiner beiden geografischen Werke ist der Geografie der Arabischen Halbinsel gewidmet, wobei er sein spezielles Augenmerk auf die Erläuterung deren Ortsnamen richtete. Es ist alphabetisch angeordnet und führt die Namen von Dörfern, Städten, Tälern und Baudenkmalen auf, die er von Hadithen und Geschichten auswählte. Sein zweites Werk ist eine Enzyklopädie über die ganze Welt, geordnet nach Ländern, bei der jedem Eintrag eine kurze historische Einleitung vorausgeht. Sie beinhaltet Schilderungen der Menschen und ihrer Gepflogenheiten sowie des Klimas eines jeden Landes, die grundlegenden Eigenschaften, die größten Städte und sogar Anekdoten.





 





Beim Studium der Geografie leisteten Leute wie Ibn Dschubair, ein andalusischer Reisender, und der berühmteste Reisende von allen, Ibn Battûta, ebenfalls wichtige Beiträge. Geboren in Nordafrika, dann im kulturellen Milieu des islamischen Spaniens, reiste Ibn Battûta 28 Jahre lang ausgiebig und erstellte ein Reisebuch, das sich als eine reiche Quelle sowohl für Historiker als auch für Geografen erwiesen hat. Es beinhaltet Informationen von unschätzbarem Wert über Menschen, Orte, Navigation, Karawanenrouten, Straßen und Gasthöfe. Doch der berühmteste Geograf seiner Zeit war Al-Idrîsî, der in Cordoba studierte. Nachdem er weit gereist war, ließ sich Al-Idrîsî in Sizilien nieder und schrieb eine systematische Erdbeschreibung, allgemein bekannt als das "Buch von Roger", nach seinem Förderer Roger II, dem normannischen König von Sizilien. Die Informationen, die das "Buch von Roger" enthalten, waren auch in eine silberne Planisphäre (Sternkarte) eingraviert, eine scheibenförmige Karte, die eines der Wunder jener Epoche darstellte.





 





Unzählige Gelehrte in Andalusien widmeten sich darüber hinaus dem Studium der Geschichts- und Sprachwissenschaften, den wichtigsten „Gesellschaftswissenschaften“, die von den Arabern entwickelt und von ihnen auf ein hohes Niveau gebracht worden waren. Ibn al-Chatîb beispielsweise, der in fast allen Studienfächern herausragte, erstellte mehr als 50 Werke über Reisen, Medizin, Poesie, Musik, Politik und Theologie und schrieb außerdem die beste Chronik über Granada, die bis heute erhalten ist. Der originellste Kopf der Zeit war jedoch zweifelsfrei Ibn Chaldûn, der erste Historiker, der allgemeine Gesetze, die den Aufstieg und den Untergang von Zivilisationen beeinflussen, entwickelte und erklärte. In der Proplegomena, einer Einleitung in eine große, siebenbändige Weltchronik – eine Einleitung, die länger ist als einige der Bände – näherte sich Ibn Chaldûn der Geschichte als eine Wissenschaft und forderte die Logik vieler (bereits) akzeptierter historischer Berichte heraus. In gewissem Sinne war er der erste moderne Philosoph der Geschichte.





 





Ein weiteres großes Gebiet der andalusischen geistigen Tätigkeit war die Philosophie, bei der der Versuch unternommen wurde, mit intellektuellen Problemen umzugehen, die durch die Einführung der griechischen Philosophie im Kontext mit dem Islam entstanden. Einer der ersten, der dies behandelte, war Ibn Hazm, den die Autoren von mehr als 100 Büchern als „einen der Riesen der intellektuellen Geschichte des Islam“ beschrieben. Daneben gab weitere Philosophen, wie Ibn Badscha, im Westen als Avempaze bekannt, der auch ein Arzt war, und Ibn Tufail, der Autor von „Hayy ibn Yaqdhân", der Geschichte eines Kindes, das auf einer verlassenen Insel in völliger Abgeschiedenheit aufwuchs und ausschließlich durch seine eigenen geistigen Bemühungen für sich selbst die höchsten physischen und metaphysischen Realitäten entdeckt. Es war jedoch Averroes – Ibn Ruschd –, der sich den besten Ruf erwarb. Er war ein leidenschaftlicher Aristoteles-Anhänger, und seine Werke übten in deren lateinischen Übersetzung einen bleibenden Einfluss auf die Entwicklung westlicher Philosophie aus.





 





Die Liste der Beiträge des islamischen Spaniens für den Westen ist tatsächlich nahezu endlos. Zusätzlich zu seinen Beiträgen in Mathematik, Wirtschaft, Medizin, Botanik, Geografie, Geschichte und Philosophie entwickelte Andalusien wichtige technologische Erfindungen und wand diese an wie etwa die Windmühle und neue Techniken in der Metallverarbeitung, der Weberei und im Bauwesen.



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