Am siebten Tag des Monats Schauwâl des achten Jahres nach der Hidschra nahm die Schlacht im Tal von Hunain ihren Lauf. Dieses Tal liegt neben Dhu Al-Madschâz und ist von Makka etwa siebenundzwanzig Kilometer seitens des Berges Arafât entfernt. Die Zahl der Muslime, die an diesem Kampf teilgenommen hatten, lag bei zwölftausend; zehntausend aus Madîna und zweitausend aus Makka.
Der Grund dieser Schlacht:
Wie es der Gelehrte Ibn Al-Qayyim erwähnt, war die Einnahme von Makka „die größte Eroberung, mit der Allâh Seine Religion, Seinen Gesandten, Seine Soldaten und die muslimische Partei ehrte. Durch sie errettete er Sein Land und Sein Heiliges Haus, das Er zu einer Rechtleitung für alle Welten gemacht hatte, aus den Händen der Islâm-Leugner und Götzenanbeter - eine Eroberung, auf die die Bewohner des Himmels sehnsüchtig gewartet hatten. Durch sie traten die Menschen in Scharen in Allâhs Religion ein. Das Antlitz der Erde erstrahlte durch sie in Erleuchtung und Freude.“
Diese Eroberung löste bei den Makka benachbarten großen arabischen Stämmen, vor allem den Stämmen Hauzân und Thaqîf jedoch genau gegenteilige Reaktionen aus. Die Führer beider Stämme versammelten sich und waren darüber einig, dass sie gegen die Muslime kämpfen sollten, bevor ihr Sieg stärker und stabiler und folglich sich verbreiten würde.
Verlauf und Ereignisse der Schlacht:
Mâlik ibn Auf war ein mutiger, kühner Mann, aber seine Ansichten waren töricht und stur; so zog er doch tatsächlich mit seinem gesamten Stamm ausnahmslos in die Schlacht, mit Männern, Frauen, Kindern und Vermögen. Auf diese Weise wollte er jedem Mann, wenn er kämpft, das Gefühl geben, dass sein gesamter Besitz und seine Familie hinter ihm ist, so dass er nicht fliehen kann. Duraid ibn As-Simma, ein tapferer Kavallerist mit jahrelanger Erfahrung widersprach dieser Ansicht und sagte: „Kann etwas den Besiegten hindern zu fliehen? Wenn es gut für dich läuft, dann nützt dir nur ein Mann mit seinem Schwert und seiner Lanze. Und wenn es schlecht für dich läuft, dann wird deine Familie und dein Vermögen zum Opfer fallen.“ Mâlik erklärte seinen Einwand für Unsinn und beharrte auf der Durchführung seines Planes.
Als dem Propheten die Nachricht von Mâlik und dessen Vorhaben erreichte, begann er damit, sein Heer vorzubereiten und die nötigen Vorkehrungen für diese Situation zu treffen. Mâlik ibn Auf eilte sich und begab sich nach Hunain. Nachtsüber platzierte er seine Männer in den Engen des Tales und verteilte sie auf den Wegen und Felsspalten. Er befahl ihnen, die Muslime beim ersten Kontakt zu beschießen, und alsdann allesamt wie aus einer Hand anzugreifen.
Der Prophet hatte sein Heer in der Morgendämmerung mobilisiert, er ernannte die Fahnen- und Bannerträger und verteilte sie auf die Kämpfer. Noch vor Tagesanbruch begaben sich die Muslime in Richtung des Hunain-Tals. Sie begannen hinunterzusteigen und ahnten nicht, welche Falle sie erwartete. Während sie also in dieses Tal hinabstiegen, wurden sie auf einmal von allen Seiten mit Pfeilen beschossen und von feindlichen Truppen wie aus einer Hand angegriffen. So wurden die Muslime besiegt und mussten sich zurückziehen. Niemand kümmerte sich um den anderen. Es war eine erniedrigende Niederlage für diese großen Scharen. Der Prophet wandte sich nach rechts und rief: „Wohin, o ihr Diener Allâhs! Ich bin der Prophet, das ist keine Lüge, ich bin der Sohn des Abdulmuttalib.“ Doch nur eine geringe Zahl der Muhâdschirûn und der Ansâr blieb bei ihm.
Al-Abbâs berichtet uns über diese schwierige Situation und beschreibt sie uns in ihren kleinsten Einzelheiten: „Ich erlebte mit dem Propheten die Schlacht von Hunain. Ich und Abû Sufyân ibn Al-Hârith ibn Abdulmuttalib blieben bei Allâhs Gesandten und wichen ihm nicht von der Seite. Der Prophet ritt auf einem weißen Maultier. Als die Muslime auf die Islâm-Leugner im Kampf trafen, flohen die Muslime, aber der Prophet ritt auf seinem Maultier auf die Islâm-Leugner zu. Er sagte: «O Abbâs, rufe die Leute von Samura (diejenigen, die dem Propheten bei Aqaba den Treueid leisteten).» Da fragte Abbâs: «Wo sind die Leute von Samura?» Er sagte: «Bei Allâh, es war als hätte ich sie mit meinen Worten emotional berührt, wie die Emotionen einer Kuh für ihre Jungen.» Sie entgegneten: «O du, zu Diensten, o du, zu Diensten!» Er forderte sie auf: «Zieht in die Schlacht gegen die Islâm-Leugner!» Der Prophet , der hoch aufgerichtet auf seinem Reittier saß, schaute sich den Kampf an und sagte: «Der Kampf ist in eine heiße Phase getreten.» Dann nahm der Prophet einige Kiesel und warf sie auf die Gesichter der Islâm-Leugner. Daraufhin sagte er: «Beim Herrn von Muhammad, sie wurden besiegt!» Er (Abbâs) sagt weiter: «So ging ich schauen. Und bei Allâh, direkt als er sie mit diesen Steinchen beworfen hatte, geriet ihre Front durcheinander und ihre Kraft ließ nach. Die Lage wandte sich zum Rückzug und zur Niederlage.»" Überlieferung von Muslim.
Mâlik ibn Auf und seine Angehörigen flohen nach Tâ´if und verschanzten sich dort. Sie ließen viel Beute für die Muslime zurück. Der Prophet schickte ihnen einige seiner Gefährten nach, die sie belagerten und bekämpften, bis sie die Feinde besiegen konnten. Auf diese Ereignisse weist der Qurân in der elften Sûra hin: "Allâh hat euch doch an vielen Orten zum Sieg verholfen, und auch am Tag von Hunain, als eure große Zahl euch gefiel, euch aber nichts nutzte. Die Erde wurde euch eng bei all ihrer Weite. Hierauf kehrtet ihr den Rücken. Daraufhin sandte Allâh Seine innere Ruhe auf Seinen Gesandten und auf die Gläubigen herab, und Er sandte Heerscharen, die ihr nicht saht, herab und strafte diejenigen, die den Islâm leugneten. Das war der Lohn der Islâm-Leugner." (Sûra 9:25-26)
Die Haltung des Propheten und dessen Standfestigkeit in dieser Schlacht trotz der geringen Anzahl der Gefährten sind klare Argumente und deutliche Beweise für die Tiefe seines Glaubens an Allâh und sein Vertrauen auf Seinen Sieg und Beistand sowie für seine Überzeugung, dass die Gläubigen letztendlich siegen werden. In dieser Situation bemerkt man ein beispielloses Bild und eine unnachahmliche Tapferkeit des Propheten; die Leute ließen ihn im Stich, liefen auseinander, niemand achtete auf den Nächsten, und der Prophet war der einzige Kämpfer, der gegen den Feind kämpfte und ihre Härte ertrug; er war umgeben von Feinden, aber er war unglaublich standhaft, was einen großen psychischen Einfluss auf die muslimischen Kämpfer ausübte, die geflohen waren. Sie erinnerten sich an dieses verbindende Ereignis und gewannen ihre Entschlossenheit zurück.
Der Standpunkt von Umm Sulaim:
Zu den ehrenswerten Situationen in diesem Kampf gehört der Standpunkt von Umm Sulaim . Sie war bei ihrem Mann Abû Talha . Die Hadîth-Werke und Biografien erzählen dieses Ereignis in authentischer Überliefererkette. Von Anas wurde berichtet, dass Umm Sulaim während des Feldzuges von Hunain einen Dolch hatte. Da sah sie ihr Mann Abû Talha und sagte: "O Allâhs Gesandter, da ist Umm Sulaim und sie hat einen Dolch!" Da sagte der Prophet zu ihr: "Was soll dieser Dolch?" Sie antwortete: "Ich nahm ihn mit. Wenn sich mir ein Götzendiener nähert, schlitze ich ihm den Bauch auf." Da begann der Prophet zu lachen. Sie sagte: "O Allâhs Gesandter, töte die, die nicht von uns sind von den Tulaqâ (diejenigen, die von den Bewohnern Makkas den Islâm angenommen hatten), sie erlagen dir ja!" Da erwiderte der Prophet : "O Umm Sulaim, Allâh ist uns Genüge und hat das Beste getan!"
Zu den Hauptfolgen dieses Feldzuges gehört vor allem die Frage der Verteilung der Beute. Die Muslime hatten in dieser Schlacht viel Beute gemacht und der Prophet war derjenige, der sie verteilen sollte. Die Verteilung basierte auf einer weisen Politik, aber sie wurde anfangs von einigen nicht verstanden, deshalb waren verschiedene Stimmen dagegen und es wurde viel geredet und gezweifelt.
Ibn Ishâq berichtet von Abû Sa'îd Al-Chudrî eine Zusammenfassung der Frage der Beuteverteilung. Er sagte: "Als Allâhs Gesandter den Leuten von Quraisch und den anderen arabischen Stämmen von der Beute gegeben hatte, was er geben wollte, wobei das Lager der Ansâr davon ausgeschlossen war, waren sie zum Teil unzufrieden und einige sprachen schlecht über das Geschehene. Einer der den Medinenser sagte: «Bei Allâh! Allâhs Gesandter hat seinen Stamm wiedergefunden!» Da begab sich Sa'd ibn Udâda zum Propheten und sagte ihm: «O Gesandter Allâhs, das Lager der Ansâr ist mit deiner Beuteverteilung nicht zufrieden. Du verteiltest unter deinem Stamm und gabst auch den anderen arabischen Stämmen riesige Gaben. Das Lager der Ansâr bekam jedoch nichts.» Da fragte der Prophet : «Von wo bist du, o Sa'd?» Er antwortete: «O Allâhs Gesandter, ich bin nur einer meines Stammes!» Da sagt er: «So sammle mir deinen Stamm auf diesem Hof!» Da ging Sa'd hinaus und versammelte die Ansâr. Auch einige der Muhâdschirun kamen und er ließ sie eintreten. Anderen wiederum verweigerte er den Zutritt. Als das Volk sich versammelt hatte, ging Sa'd zum Propheten und sagte: «Das Lager der Ansâr hat sich versammelt und wartet auf dich.» Da ging der Prophet zu ihnen, lobte Allâh, den Erhabenen, und dankte Ihm, dann sagte er: «O ihr Leute der Ansâr, mir wurde mitgeteilt, was ihr über mich sprecht! Ist es eine innere Unzufriedenheit mir gegenüber? Kam ich nicht zu euch, während ihr im Irrtum wart, und dann leitete euch Allâh recht? Wart ihr nicht bedürftig, worauf euch Allâh unabhängig machte? Wart ihr nicht verfeindet, woraufhin Er eure Herzen zusammenfügte?» Sie antworteten: «Doch, Allâh und Sein Gesandter sind uns lieber und besser.» Dann sagte er : «Antwortet ihr mir nicht, o Ansâr?» Sie entgegneten: «Was sollen wir dir antworten? Allâh und Seinem Gesandten gehört die Gunst und Überlegenheit.» Er sagte: «Bei Allâh, wenn ihr gewollt hättet, hättet ihr antworten können, und ihr hättet damit die Wahrheit gesprochen und euch wäre geglaubt worden: «Du kamst zu uns, verleugnet, da glaubten wir dir. Im Stich gelassen, da halfen wir dir. Vertrieben, da empfingen wir dich. Arm, da unterstützten wir dich.» O ihr Leute der Ansâr, empfindet ihr etwas gegen mich, wegen etwas Vergänglichem, Wertlosem dieser Welt, mit dem ich ein Volk vereinte, damit sie den Islâm annehmen, während ich auf euren Islâm vertraute? O ihr Leute der Ansâr, seid ihr nicht damit zufrieden, dass die Leute mit den Schafen und Kamelen gehen, während ihr mit Allâhs Gesandten Möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken zurückkehrt? Bei Demjenigen, in Dessen Hand die Seele von Muhammad liegt! Hätte es keine Hidschra gegeben, so wäre ich einer von den Ansâr, und würden alle Leute einen Pfad einschlagen, und die Ansâr einen anderen, so schlüge ich den Pfad der Ansâr ein. Ihr werdet die Wirkung davon nach mir spüren. So habt Geduld, bis ihr mich im Paradies trefft. O Allâh, erbarme Dich der Ansâr, und der Kinder der Ansâr und der Kindeskinder der Ansâr.» Da weinten die Leute, bis ihre Bärte nass wurden, und sagten: «Wir sind mit Allâhs Gesandten als unseren Anteil zufrieden.»" Dann gingen der Prophet und die Leute weg.
Die Schlacht von Hunain beinhaltet viele bedeutsame Lehren des islâmischen Glaubens sowie der praktischen Anwendung der Regelung von Ursache und Wirkung.
Wenn die Schlacht von Badr die Muslime lehrte, dass es der kleinen muslimischen Gruppe nichts schadet, wenn sie wirklich glaubt und die Gründe des Siegens verfolgt, wenn ihre Feinde mehr und mächtiger sind, so lernen die Muslime aus der Schlacht von Hunain eine neue Lehre, nämlich: Die Überzahl hat im Kampf keine Bedeutung, wenn man sich nicht mit der Waffe der Religion und des Glaubens rüstet und die erforderlichen Maßnahmen für das Siegen trifft. Denn Sieg oder Niederlage hängen nicht von der Überzahl ab. Es gibt vielmehr noch andere Gründe, die nicht von geringerer Bedeutung sind, ja sie können sogar wichtiger für die Entscheidung einer Schlacht sein.
Hunain war also eine Lehre, die für die Muslime von großer Bedeutung ist. Sie lernten daraus die Gesetzmäßigkeiten und Regeln des Siegens. Allâh, der Erhabene, sagt: "O die ihr glaubt, wenn ihr Allâh helft, hilft Er euch und festigt eure Füße." (Sûra 47:7)
Auch die Haltung von Umm Sulaim zeigt, wie sich die muslimischen Frauen bemühten, am Kampfgeschehen an der Seite des Gesandten Allâhs , seiner Da'wa und der Verkündung seiner Botschaft teilzunehmen.
Zu den Lehren dieses Feldzuges gehört ferner die Weisheit des Propheten bei der Beuteverteilung, denn er gab denjenigen Muslimen, die erst im Jahr der Eroberung Makkas Muslime geworden waren, mehr Beute als den anderen. Hier beachtete er nicht die Regel der Gleichheit unter den Kämpfern. Daraus lässt sich lernen, dass der muslimische Herrscher das Recht hat zu entscheiden, was er für richtig und für die Muslime im Diesseits und Jenseits für nützlich hält.
Man lernt weiterhin, dass es eines der Hauptmotive des Dschihâdes im Islâm ist, die Leute zum Islâm aufzurufen, sie zum geraden Weg rechtzuleiten und sie mit der wahren Religion bekannt zu machen. Dies ist auch Hauptziel der islâmischen Scharî'a. Die Muslime verfolgten mit dem Krieg keine wirtschaftlichen Ziele oder politischen Zwecke. Dies begründet das Verhalten des Propheten gegenüber Mâlik ibn Auf, dem Hauptverursacher der Schlacht von Hunain. Der Prophet fragte seine Gefährten nach Mâlik. Sie erwiderten ihm: "Er befindet sich in Tâ`if bei den Leuten von Thaqîf." Er sagte: "Teilt ihm mit: «Wenn er kommt und den Islâm annimmt, werden wir ihm seine Familie, sein Vermögen und noch einhundert Kamele geben.»" Mâlik erfuhr davon und folgte dem Propheten , bis er ihn erreichte. Der Prophet gab ihm seine Familie, sein Vermögen und einhundert Kamele. Mâlik nahm den Islâm an und hielt ihn in Ehren. Überliefert von Ibn Ishâq.
Dies alles - und noch vieles mehr - beweist klar und deutlich, dass der Dschihâd im Islâm im Grunde genommen die praktische Durchführung dessen ist, die Leute zum Guten aufzurufen und vom Falschen abzuhalten. Hauptaufgabe des Dschihâdes und Hauptziel der Scharî'a insgesamt bestehen darin, die Leute zur wahren Religion aufzurufen und ihnen die Sicherheit zu gewährleisten, diese Religion von sich aus anzunehmen.