Wohltätigkeit bedeutet im einfachen Sinn, dass der Mensch sich in individueller oder kollektiver Form freiwillig darum bemüht, was der Gesellschaft Nutzen bringt, ohne dass man ihn dazu verpflichtet. Diese freiwillige Wohltätigkeit beruht grundsätzlich auf dem eigenen Willen oder persönlichen Antrieb, egal ob dieser bewusst oder unbewusst ist.
Der Wohltäter beabsichtigt weder eine materielle Gegenleistung noch privaten Gewinn, vielmehr will er sich als Teil der Gesellschaft fühlen und einige Aufgaben übernehmen, die dazu beitragen, sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Bedürfnissen oder notwendigen Dienstleistungen nachzukommen. Oder auch die Lösung eines sozialen Problems, an dem die Gesellschaft leidet, egal ob es sich um eine Angelegenheit von großer Tragweite handelt, wie die Sicherung der Grundrechte oder der Freiheit oder die Wahrung der Grundbedürfnisse des Menschen (Religion, Verstand, Leib und Leben, Vermögen und Nachkommenschaft), oder ob es sich um Angelegenheiten geringerer Tragweite handelt, die jedoch ohne Zweifel zur Linderung der Probleme des Individuums in der Gesellschaft zählen.
Der Islâm ermutigt sowohl theoretisch als auch praktisch in guter Weise zur Wohltätigkeit. Er macht den Begriff der Wohltätigkeit zu einem Teil des Glaubens: „Der Glaube besteht aus mehr als siebzig oder mehr als sechzig Teilen. Der Höchste ist das Bekenntnis, dass es keine Gottheit außer Allâh gibt, und der Niedrigste ist die Beseitigung von etwas Schädlichem vom Weg. Und das Sich-Schämen ist ebenfalls ein Teil des Glaubens.“ (Überliefert von Al-Buchârî und Muslim). Der Islâm bezeichnet die Beseitigung von etwas Schädlichem vom Weg als den niedrigsten Glaubensteil, den ein gläubiger Muslim sich aneignen soll. Es geht um eine fortschrittliche Form der Wohltat, die zur Verschönerung der Wege und der Entfernung des Schädlichen und der bösen Verhaltensweisen beiträgt, unter denen die Menschen leiden.
Darüber hinaus öffnet der Islâm die Türen für jedwede Form der Wohltätigkeit, indem er jedem Muslim und jeder Muslimin vorschreibt, täglich Almosen zu geben. Abû Huraira überlieferte, dass der Gesandte Allâhs sagte: „Für jeden Knochen des Menschen hat man jeden Tag, an dem die Sonne aufgeht, Sadaqa zu entrichten: zwischen zwei Leuten für Gerechtigkeit zu sorgen, ist Sadaqa; einem Mann mit seinem Reittier zu helfen, indem du ihn oder sein Vermögen darauf bringst, ist Sadaqa; das gute Wort ist Sadaqa; jeder Schritt auf dem Weg zum rituellen Gebet ist Sadaqa; das Schädliche vom Weg zu beseitigen ist Sadaqa.“ (Überliefert von Al-Buchârî und Muslim). Dieser Hadîth wurde mit vielen Überlieferungsketten tradiert, in denen andere Formen freiwilliger wohltätiger Handlungen erwähnt werden, wie das Anweisen zum Guten und das Verbieten des Bösen, die Unterstützung des Schwachen, die Rettung der um Hilfe Bittenden, die Hilfe des Tauben, die Führung des Blinden oder die Erklärung für jemanden, der um Klärung einer Angelegenheit bittet.
An dieser Stelle können zwei Bemerkungen gemacht werden:
1- Das Maß der Wohltätigkeit: Die Zahl der täglichen Sadaqas, zu denen der edle Prophet den Muslim ermutigt hat, ist so groß wie die Zahl der Körperknochen und –gelenke, die 360 beträgt.
2- Die Formen der Wohltätigkeit: Der Prophet hat verschiedene Formen der Sadaqa und der Wohltätigkeit aufgezählt, die fast die ganzen Erfordernisse der Menschen umfassen. Die Formen umfassen jede Tat, durch die man den Menschen dienen, ihnen Erleichterungen bereiten und ihre Verhältnisse verbessern kann.
Der Islam betrachtet die guten Taten gegenüber den Einzelnen und der Gemeinschaft als Maßstab des guten Charakters. Der Prophet sagte: „Die besten Menschen sind diejenigen, die am nützlichsten für die Menschen sind.“ Ferner hat er die fortdauernde Sadaqa als Ursache dafür bestimmt, dass man nach dem Tod weiter belohnt wird. Es geht dabei um die Geldspende, die man für das Allgemeinwohl oder ein bestimmtes Interesse der Muslime stiftet, wie zum Beispiel die Unterstützung der Bildung, die Heilung der Kranken oder das Zur-Verfügung-Stellen der notwenigen Erfordernisse wie das Wasser. Ausgehend davon haben die reichen Muslime zu allen Zeiten dabei konkurriert, Brunnen zu bohren, Krankenhäuser zu errichten und Schulen und Bibliotheken zu gründen sowie die Schüler zu unterstützen. Das Ziel war dabei, nach dem Tod weiter belohnt zu werden, wie es im Hadîth steht, den Anas ibn Mâlik () vom Propheten (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) überlieferte: „Für sieben Werke wird der anbetend Dienende belohnt, wenn er nach seinem Tod im Grab liegt: Wenn man Wissen lehrt, einen Fluss fließen lässt, einen Brunnen gräbt, eine Palme pflanzt, eine Moschee errichtet, ein Qurân-Exemplar vererbt, oder ein Kind hinterlässt, das für ihn nach seinem Tod um Vergebung bittet.“ (Von Al-Albânî als hasan bezeichnet).
Der Islâm zählt die Beschäftigung mit den Bedürfnissen der Menschen zu den besten Werken, denn Ibn Umar () überlieferte, dass der Gesandte Allâhs sagte: „Der Muslim ist der Bruder des anderen Muslims. Er soll ihn nicht ungerecht behandeln und nicht verraten. Derjenige, der sich mit dem Anliegen seines Bruders beschäftigt, mit dessen Anliegen beschäftigt sich Allâh. Wer einen Muslim von einem Leiden befreit, den befreit Allâh dafür von einem seiner Leiden am Tag des Gerichts. Wer die Blöße eines Muslims bedeckt, dessen Blöße bedeckt Allâh am Tag der Auferstehung.“(Von Al-Buchârî und Muslim überliefert).
Deshalb spiegeln die freiwilligen wohltätigen Handlungen die Aktivität der muslimischen Gemeinschaft wider, indem man sich in Hilfsorganisationen engagiert und sich für die Interessen der Menschen einsetzt; sie gelten als Impuls zur Durchführung einer umfassenden Entwicklung der Umma auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene. Darüber hinaus vermitteln sie das Gefühl der Loyalität und der Verantwortlichkeit, die die Einzelnen zur Teilnahme und der positiven, freiwilligen Ergreifung der Initiative führt, ohne auf eine Gegenleistung zu warten, es sei denn von Allah, dem Erhabenen und Mächtigen.
Der Islâm und die soziale Verantwortung
Ein ernst zunehmendes Problem der heutigen Zeit ist, dass die alten Normen es nicht vermocht haben, unsere Jugend zu überzeugen und ihr Halt zu geben, und wir einer neuen Zeit der Unwissenheit begegnen, einer erneuten "Dschâhiliyya" wie die Araber oder die Muslime es nennen würden. Ob diese Haltlosigkeit dadurch hervorgerufen wurde, dass manche Werte grundsätzlich falsch sind, oder dass eine Art Verwesungsprozess unsere Medien infiziert hat, es bleibt die Tatsache, dass wir in der ganzen westlichen Welt einer wahren Krise gegenüberstehen.
Dieser Verlauf ist das Gegenteil der riesigen Bewegung des 18. Jahrhundert, die Aufklärung genannt wurde, als West-Europa und Nord-Amerika ihre uralten Vorurteile abzuschütteln schienen.
Für die Muslime ist der heutige Verfall der Sitten vergleichbar mit der Zeit, bevor der Prophet Muhammad seine dürre Halbinsel sowohl politisch als auch gesellschaftlich aus dem Chaos zur Herrschaft über die damals bekannte Welt führte. In der Tat, wo immer der Islâm während seiner frühesten Blütezeit hinkam, kam das Mittelalter – und vor allem Westeuropa kannte diese dunkle Periode menschlicher Geschichte – einfach zu einem Ende.
Das islâmische Zeitalter:
Der Prophet Muhammad verbreitete die islâmische Religion, danach entwickelte sich langsam der islâmische Staat oder die Nationengemeinschaft. Dies in nur zehn Jahren zu erreichen war äußerst schwierig, und doch schaffte es der Prophet in dem Jahrzehnt zwischen dem Jahr 622 der christlichen Zeitrechnung – beziehungsweise dem Jahr Null im islâmischen Kalender – bis zu seinem Tod im Jahre 632, also nur zehn Jahre später.
Zu dieser Zeit wandelte sich Arabien von einer Halbinsel mit sich gegenseitig überfallenden Stämmen zu einer Nationengemeinschaft, die neue Normen für die Welt aufstellte. All dies fand statt, nachdem der Prophet und seine muslimische Gemeinschaft weg von den schwierigen Umständen in Makka in die neue Stadt ausgewandert war, Yathrib – oder Madîna, wie diese Stadt heute genannt wird, die ca. vierhundert Kilometer nördlich von Makka in einer Oase auf der ehemaligen Karavanenroute nach Syrien liegt.
Das Leben des Propheten dauerte vom Jahr 570 n.Chr., in dem er geboren wurde, bis 632 n.Chr. Er wurde im Qurân An-Nabî Al-Ummî oder der "schriftunkundige Prophet" (Sûra 7:157-158) genannt.
Was bedeutet dieser Begriff? Er bedeutet lediglich, dass der Prophet nicht akademisch ausgebildet wurde, wie wir es heute möglicherweise von ihm erwarten würden; nichtsdestotrotz führte er sein Volk durch seine Vorbildlichkeit und Aufrichtigkeit zu einer besseren Lebensweise. Er war die gebildetste und umsichtigste Person überhaupt, jedoch ging er nie zur Schule und lernte lediglich gutes Arabisch, indem er als Kind in der Wüste lebte, wo man zu dieser Zeit das beste Arabisch sprach.
Fast umgehend nach seinem Tod drang der Islâm in den Nahen Osten und in die ganze Welt vor, um schließlich das gesamte sassanidische Reich Persiens und den Südteil des byzantinischen Reichs, sowie den fernen Westen mit Spanien und Marokko am Atlantik zu erobern. Dies dauerte weniger als ein Jahrhundert: Im Jahr 711 n. Chr. oder nur achtzig Jahre nach dem Tod des Propheten waren die Muslime an den Grenzen Frankreichs im fernen Westen und betraten Indien im Osten.
Die frühen Muslime wurde als die "Gemeinschaft der Mitte" (Sûra 2:143) bezeichnet, die Gemeinschaft, die eine unbeschwerte und ausgeglichene Mäßigung in allen Angelegenheiten befolgt, was auch das angestrebte Ziel der hellenischen Gesellschaft war und gewiss das Ziel jeder gemäßigten Gesellschaft ist.
Das wesentliche Ziel der islâmischen Lebensweise:
Das wesentliche Ziel im Leben eines Muslims ist es, Gott in seiner Einzigkeit anzubeten (Monotheismus) und diese Anbetungsweise nicht durch die Trinität der Christen oder eine Dualität oder irgendeinen Götzendienst, wie in anderen Religionen, zu ersetzen. Der Muslim wirkt mit Gottes Befehl - oder mit den Worten des sagenumwobenen König Arthurs, der vor dem Tod gesagt haben soll: "Warum sind die Menschen besser als Schafe oder Ziegen, die ein mental blindes Leben führen, wenn nicht dadurch, dass sie, Gott kennend, ihre Hände im Gebet für sich selbst und für die, die sie Freunde nennen, heben?"
Gott ist also überweltlich, "Al-Ghanî" wie der Qurân uns lehrt; während ein bloßer Mensch nur "reich" oder "wohlhabend" ist, wenn dasselbe Adjektiv für ihn verwendet wird. Gottesdienst oder Anbetung bedeutet dem, was wir respektieren und verehren, "Geltung" oder Wert zu geben. Wir Muslime kennen Gott; wir treffen Ihn mindestens fünfmal am Tag, während wir vor ihm knien.
Heute hilft uns unsere moderne Welt, die allgemeine Botschaft des Islâm zu verbreiten und die Erblast zu beseitigen, die seinen Konzepten widerspricht. Wenn wir alle bereit sind zuzuhören, dann können wir einige Missverständnisse klären, die bisher die westliche Würdigung der nahöstlichen Moral und Werte verhinderten, besonders, weil der Islâm zur Zeit in die Städte Nordamerikas, Großbritanniens und des europäischen Kontinents vordringt.