Das Moralkonzept
Das islâmische Moralkonzept kreist um bestimmte grundlegende Überzeugungen und Prinzipien. Zu diesen gehören folgende: (1) Gott ist der Schöpfer und die Quelle aller Güte, Wahrheit und Schönheit. (2) Der Mensch ist ein verantwortlicher, würdevoller und ehrenwerter Vertreter seines Schöpfers. (3) Gott hat dem Menschen alles in den Himmeln und auf der Erde dienstbar gemacht. (4) Auf Grund Seiner Barmherzigkeit und Weisheit erwartet Gott nichts Unmögliches vom Menschen und macht ihn für nichts verantwortlich, was nicht in dessen Macht steht. Gott verbietet dem Menschen auch nicht, die guten Dinge des Lebens zu genießen. (5) Mäßigung, Umsetzbarkeit und Ausgewogenheit sind Garantien für hohe Integrität und einwandfreie Moral. (6) Alles ist grundsätzlich erlaubt, außer dem, was als verboten herausgegriffen wird und vermieden werden muss. (7) Der Mensch ist letztendlich Gott gegenüber verantwortlich und sein höchstes Ziel ist die Zufriedenheit seines Schöpfers.
Im Islâm gibt es zahlreiche weitreichende und umfassende Dimensionen der Moral. Die islâmischen Moralvorstellungen befassen sich mit der Beziehung zwischen dem Menschen und Gott, dem Menschen und seinen Mitmenschen, dem Menschen und anderen Elementen und Geschöpfen im Universum sowie dem Menschen und seinem innersten Selbst. Der Muslim muss sein nach außen gerichtetes Verhalten und seine offenkundigen Taten, seine Worte und Gedanken sowie seine Gefühle und Absichten kontrollieren. Generell hat er die Aufgabe, sich für das Gute einzusetzen und das Verwerfliche zu bekämpfen, das Wahre zu erstreben und das Falsche zu unterlassen, das Schöne und Förderliche wertzuschätzen und das Unanständige zu meiden. Wahrhaftigkeit und Tugendhaftigkeit sind sein Ziel. Bescheidenheit und Schlichtheit sowie Höflichkeit und Barmherzigkeit gehen in sein Fleisch und Blut über. Für ihn sind Arroganz und Eitelkeit, Härte und Gleichgültigkeit geschmacklos, beleidigend und Dinge, die Gott missfallen.
Genauer gesagt ist die Beziehung des Muslims zu Gott von Liebe, Gehorsam, völligem Vertrauen und Bedächtigkeit, Ruhe und Dankbarkeit, Beständigkeit und aktivem anbetendem Dienen geprägt. Diese höhere Moralität nährt und festigt zweifelsfrei die Moralität auf menschlicher Ebene. Denn der Muslim muss in seinem Verhältnis zu seinen Mitmenschen Güte gegenüber den Angehörigen, Rücksicht gegenüber dem Nachbarn, Respekt gegenüber den Älteren, Erbarmen gegenüber den Jüngeren, Fürsorge für den Kranken, Unterstützung für den Bedürftigen, Mitgefühl gegenüber dem Trauernden, Ermunterung für den Deprimierten, Freude für den Gesegneten, Geduld mit dem Fehlgeleiteten, Toleranz gegenüber dem Unwissenden, Vergebung gegenüber dem Hilflosen und Missfallen gegenüber dem Falschen zeigen sowie über das Triviale hinauswachsen. Darüber hinaus muss er die Rechte Anderer ebenso sehr wie seine eigenen respektieren. Sein Geist sollte sich mit konstruktiven Gedanken und ernsthaften Bestrebungen befassen; sein Herz sollte mit Gefühlen der Barmherzigkeit und Wohlwollen erfüllt sein; seine Seele sollte Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen; sein Rat sollte aufrichtig und höflich sein.
Die moralische Pflicht des Muslims besteht darin, ein strahlendes Beispiel für Ehrlichkeit und Vervollkommnung zu sein, seine Verpflichtungen zu erfüllen, seine Aufgaben korrekt auszuführen, mit allen verfügbaren Mitteln nach Wissen und Tugendhaftigkeit zu streben, seine Fehler zu berichtigen und seine Sünden zu bereuen, ein gutes Gespür für Sozialbewusstsein zu entwickeln, ein Gefühl der menschlichen Verantwortung zu hegen, seine Angehörigen großzügig zu versorgen, ohne dabei verschwenderisch zu sein, und deren rechtmäßigen Bedarf zu decken. Die Natur und die Welt sind für den Muslim ein Erkundungsgebiet und ein Genussobjekt. Er muss ihre Elemente nutzen und über ihre Wunder nachsinnen, sie als Zeichen für Gottes Großartigkeit interpretieren sowie ihre Schönheit erhalten, ihre Wunder erkunden und ihre Geheimnisse entdecken. Er muss Verschwendung und Überfluss vermeiden, ganz gleich, ob er sie zur Versorgung oder zum reinen Vergnügen benutzt. Als verantwortlicher Stellvertreter Gottes und als gewissenhafter Treuhänder muss er stets diejenigen berücksichtigen, die die Welt mit ihm teilen und die ihm in Zukunft folgen werden.
Die moralischen Grundsätze im Islâm werden teils positiv als zu erfüllende Verpflichtungen dargestellt und teils negativ als zu vermeidende Vorschriften. Ganz gleich, ob sie positiv oder negativ dargestellt werden, sollen sie im Menschen einen gesunden Geist, eine friedvolle Seele, eine starke Persönlichkeit und einen gesunden Körper begründen. Zweifelsfrei sind dies notwendige Erfordernisse für das generelle Wohlbefinden und das Wohlergehen des Menschen. Um den Menschen bei der Erfüllung dieser Erfordernisse zu unterstützen, schreibt der Islâm unter anderem folgendes vor:
1. Das Bezeugen der Einzigkeit Gottes und der Gesandtschaft Muhammads in einer engagierten sinnvollen Weise.
2. Das regelmäßige Verrichten der täglichen Gebete
3. Das Entrichten der religiösen Abgabe, die als Almosen oder Zakâ bekannt ist.
4. Das Fasten im heiligen Monat Ramadan.
5. Mindestens einmal im Leben das Verrichten der Pilgerreise in die heilige Stadt Makka.
Die moralischen und sozialen Bedeutungen dieser Vorschriften werden später detailliert behandelt.
Neben diesen positiven Maßnahmen gibt es noch weitere, die als präventiv und vorbeugend bezeichnet werden können. Um den Menschen vor Irrsinn und Entartung zu bewahren, vor Schwäche und Schwelgerei, vor Unanständigkeit und Verführung, werden im Islâm bestimmte Dinge in Verbindung mit Essen, Trinken, Freizeit und Geschlechtsverkehr verboten. Zu diesen zählen folgende:
1. Jede Art von berauschenden Weinen, Likören und Spirituosen (Sûra 2:219; 4:43; 5:93-94).
2. Schweinefleisch und Schweineerzeugnisse (Mett, Speck, Schinken, Schmalz), Erzeugnisse aus wilden Tieren, die zur Tötung ihrer Opfer ihre Krallen oder Zähne benutzen (Tiger, Wölfe, Leoparden etc.), Erzeugnisse aus Raubvögeln aller Art (Falken, Geier, Krähen etc.), aus Nagetieren, Reptilien, Würmern und Ähnlichem, aus toten Tieren und Vögeln, die nicht ordnungsgemäß geschlachtet wurden (Sûra 2:172-173; 5:4-6).
3. Jede Art von Glücksspiel und nutzlosem Sport (Sûra 2:219; 5:93-94).
4. Alle außerehelichen sexuellen Beziehungen und alle Sprech-, Lauf-, Blick-, und Kleidungsweisen in der Öffentlichkeit, die verlocken, Gelüste hervorrufen, Verdacht erregen oder Schamlosigkeit und Unanständigkeit signalisieren könnten (Sûra 23:5-7; 24:30-33; 70:29-31).
Diese Verbote wurden von Gott zum seelischen und psychischen Wohlbefinden des Menschen sowie zum moralischen und materiellen Nutzen der Menschheit eingeführt. Hierbei handelt es sich nicht um eine willkürliche Betätigung oder einen aufgezwungenen Eingriff von Gott. Vielmehr ist es ein Zeichen für Gottes Interesse am Wohlergehen der Menschheit und ein Indiz für Seine gute Fürsorge gegenüber dem Menschen.
Wenn Gott bestimmte Dinge verbietet, dann geschieht dies nicht, weil Er dem Menschen etwas Gutes oder Nützliches vorenthalten will. Es geschieht, weil Er den Menschen beschützen und es ihm ermöglichen möchte, ein gutes Differenzierungsempfinden, einen feinen Geschmack für das Bessere im Leben und ein anhaltendes Interesse an höheren Moralvorstellungen zu entwickeln. Um dies zu verwirklichen, müssen des Menschen Geist und Gemüt, Seele und Körper, Gewissen und Gefühle, Gesundheit und Besitz, Physis und Moral des Menschen pfleglich behandelt werden. Daher stellen die Verbote keine Entbehrung, sondern eine Bereicherung, keine Unterdrückung, sondern Erziehung, keine Beschränkung, sondern Entfaltung dar.
Um zu zeigen, dass alle Verbote Barmherzigkeiten und Weisheiten sind, sind in diesem Zusammenhang zwei islâmische Prinzipien erwähnenswert. Erstens: Außergewöhnliche Umstände, Notfälle, Notwendigkeiten und Zwangslagen erlauben es dem Muslim, Dinge zu tun, die normalerweise verboten sind. Solange diese Umstände bestehen und soweit er die Situation nicht unter Kontrolle hat, kann ihm eine Nichteinhaltung der Moralvorschriften Gottes nicht angelastet werden (siehe Sûra 2:173; 5:4). Zweitens: Gott hat Sich Selbst Barmherzigkeit vorgeschrieben: Jeder, der unwissend Böses tut, danach aber bereut und es wieder gutmacht, dem wird vergeben. Er ist wahrhaftig allbarmherzig und allvergebend (siehe Sûra 6:54).
An einer bemerkenswerten, charakteristischen Textstelle im Qurân werden die Grundlagen und die Philosophie für einen vernünftigen Lebenswandel bestimmt. Die Textstelle lautet wie folgt:
O Kinder Adams, legt euren Schmuck (eure schönste Kleidung) bei jeder Gebetsstätte an und esst und trinkt, aber seid nicht maßlos! - Er (Allâh) liebt nicht die Maßlosen. Sag: Wer hat den Schmuck Allâhs verboten, den Er für Seine Diener hervorgebracht hat, und (auch) die guten Dinge (aus) der Versorgung (Allâhs)? Sag: Sie sind im diesseitigen Leben für diejenigen (bestimmt), die glauben, und am Tag der Auferstehung (ihnen) vorbehalten. So legen Wir die Zeichen ausführlich dar für Leute, die Bescheid wissen. Sag: Mein Herr hat nur die Abscheulichkeiten verboten, was von ihnen offen und was verborgen ist; und (auch) die Sünde und die Gewalttätigkeit ohne Recht, und, dass ihr Allâh (etwas) beigesellt, wofür Er keine Ermächtigung herabgesandt hat, und dass ihr über Allâh (etwas) sagt, was ihr nicht wisst. (Sûra 7:31-33)
Die Bandbreite der Moral im Islâm ist so umfassend und integrativ, dass sie den Glauben an Gott, religiöse Rituale, spirituelle Bräuche, soziales Verhalten, Entscheidungsfindung, intellektuelle Bestrebungen, Konsumgewohnheiten, Sprechverhalten und alle anderen Aspekte des Menschenlebens unmittelbar miteinander verknüpft. Da die Moral ein derart wesentlicher Bestandteil des Islâm ist, liegt der moralische Tonus allen Textstellen des Qurân zu Grunde und die Morallehren werden in verschiedenen Zusammenhängen überall im heiligen Buch wiederholt unterstrichen. Dies macht es schwierig, eine halbwegs knappe Aufgliederung dieser Morallehren entsprechend ihrer Qurânischen Textbelege auszuarbeiten. Jedes Prinzip wird oftmals und in verschieden Zusammenhängen erwähnt. Es erscheint entweder als einzelnes bedeutsames Prinzip oder als Bestandteil eines Gesamtmoralsystems, das an sich ein Bestandteil eines vollständigen religiösen Supersystems ist.
In Anbetracht dessen sollen die folgenden Textstellen lediglich als repräsentative Auswahl aus dem Qurân betrachtet werden, die durch menschliche Bemühungen wiedergegeben und interpretiert wurde und zwangsläufig der Vollkommenheit des Originals und der vollständigen Darstellung des Buches nicht gerecht wird.
Und dient Allâh und gesellt Ihm nichts bei. Und zu den Eltern sollt ihr gütig sein und zu den Verwandten, den Waisen, den Armen, dem verwandten Nachbarn, dem fremden Nachbarn, dem Gefährten zur Seite, dem Sohn des Weges und denen, die eure rechte Hand besitzt. Allâh liebt nicht, wer eingebildet und prahlerisch ist, diejenigen, die geizen und den Menschen befehlen, geizig zu sein, und verbergen, was Allâh ihnen von Seiner Huld gewährt hat, - für die Ungläubigen haben Wir schmachvolle Strafe bereitet – und diejenigen, die ihren Besitz ausgeben, um von den Menschen gesehen zu werden, und nicht an Allâh und (auch) nicht an den Jüngsten Tag glauben; wer den Satan zum Gesellen hat, der hat da einen bösen Gesellen. (Sûra 4:36-38).
Sag: Kommt her! Ich will euch verlesen, was euer Herr euch verboten hat: Ihr sollt Ihm nichts beigesellen, und zu den Eltern gütig sein; und tötet nicht eure Kinder aus Armut - Wir versorgen euch und auch sie; … Und nähert euch nicht dem Besitz des Waisenkindes, außer auf die beste Art, bis es seine Vollreife erlangt hat. Und gebt volles Maß und Gewicht in Gerechtigkeit. Wir erlegen keiner Seele mehr auf, als sie zu leisten vermag. Und wenn ihr euer Wort gebt, dann seid gerecht, auch wenn es um einen Verwandten geht. Und haltet euren Bund gegenüber Allâh. Dies hat Er euch anbefohlen, auf dass ihr (es) bedenken möget! Und (Er hat euch anbefohlen:) Dies ist Mein Weg, ein gerader. So folgt ihm! Und folgt nicht den (anderen) Wegen, damit sie euch nicht von Seinem Weg auseinanderführen! Dies hat Er euch anbefohlen, auf dass ihr gottesfürchtig werden möget! (Sûra 6:151-153).
Allâh gebietet Gerechtigkeit, gütig zu sein und den Verwandten zu geben; Er verbietet das Schändliche, das Verwerfliche und die Gewalttätigkeit. Er ermahnt euch, auf dass ihr bedenken möget. Und haltet den Bund Allâhs, wenn ihr einen Bund geschlossen habt, und brecht nicht die Eide nach ihrer Bekräftigung, wo ihr doch Allâh zum Bürgen über euch gemacht habt. Gewiss, Allâh weiß, was ihr tut… Wer rechtschaffen handelt, sei es Mann oder Frau, und dabei gläubig ist, den werden Wir ganz gewiss ein gutes Leben leben lassen. Und Wir werden ihnen ganz gewiss mit ihrem Lohn das Beste von dem vergelten, was sie taten. (Sûra 16:90-91, 97).
Rufe zum Weg deines Herrn mit Weisheit und schöner Ermahnung, und streite mit ihnen in bester Weise. Gewiss, dein Herr kennt sehr wohl, wer von Seinem Weg abirrt, und Er kennt sehr wohl die Rechtgeleiteten. (Sûra 16:125).
Und wer spricht bessere Worte als wer zu Allâh ruft, rechtschaffen handelt und sagt: „Gewiss doch, ich gehöre zu den (Allâh) Ergebenen"? Nicht gleich sind die gute Tat und die schlechte Tat. Wehre mit einer Tat, die besser ist, (die schlechte) ab, dann wird derjenige, zwischen dem und dir Feindschaft besteht, so, als wäre er ein warmherziger Freund. (Sûra 41:33-34).
Was immer euch gegeben worden ist, ist Nießbrauch des diesseitigen Lebens. Was aber bei Allâh ist, ist besser und beständiger für diejenigen, die glauben und sich auf ihren Herrn verlassen, und diejenigen, die schwerwiegende Sünden und Abscheulichkeiten meiden und, wenn sie zornig sind, (doch) vergeben, und diejenigen, die auf ihren Herrn hören und das Gebet verrichten, ihre Angelegenheiten) durch Beratung untereinander (regeln) und von dem ausgeben, womit Wir sie versorgt haben, und diejenigen, die, wenn Gewalttätigkeit gegen sie verübt wird, sich selbst helfen. Die Vergeltung für eine böse Tat ist etwas gleich Böses. Wer aber verzeiht und Besserung bringt, dessen Lohn obliegt Allâh. Er liebt ja nicht die Ungerechten. Und wer immer sich selbst hilft, nachdem ihm Unrecht zugefügt wurde, gegen jene gibt es keine Möglichkeit (, sie zu belangen). Eine Möglichkeit (zu belangen) gibt es nur gegen diejenigen, die den Menschen Unrecht zufügen und auf der Erde ohne Recht Gewalttätigkeiten begehen. Für sie wird es schmerzhafte Strafe geben. Wahrlich, wenn einer standhaft erträgt und vergibt, so gehört dies zur Entschlossenheit (in der Handhabe) der Angelegenheiten. (Sûra 42:36-43).
Wer immer das schnell Eintreffende (das Diesseits) will, dem gewähren Wir darin schnell, was Wir wollen - demjenigen, den Wir wollen; hierauf haben Wir für ihn die Hölle bestimmt, der er ausgesetzt sein wird, mit Vorwürfen behaftet und verstoßen. Wer das Jenseits will und sich darum bemüht, wie es ihm zusteht, wobei er gläubig ist, - denen wird für ihr Bemühen gedankt. Sie alle, diese und jene, unterstützen Wir mit etwas von der Gabe deines Herrn. Und die Gabe deines Herrn wird nicht verwehrt. (Sûra 17:18-20).
Setze neben Allâh keinen anderen Gott, sonst wirst du gescholten und im Stich gelassen dasitzen. Und dein Herr hat bestimmt, dass ihr nur Ihm dienen und zu den Eltern gütig sein sollt. Wenn nun einer von ihnen oder beide bei dir ein hohes Alter erreichen, so sag nicht zu ihnen: „Pfui!" und fahre sie nicht an, sondern sag zu ihnen ehrerbietige Worte. Und senke für sie aus Barmherzigkeit den Flügel der Demut und sag: „Mein Herr, erbarme Dich ihrer, wie sie mich aufgezogen haben, als ich klein war." Euer Herr weiß sehr wohl, was in eurem Innersten ist. Wenn ihr rechtschaffen seid, so ist Er gewiss für die sich (zu Ihm) stets Bekehrenden Allvergebend. Und gib dem Verwandten sein Recht, ebenso dem Armen und dem Sohn des Weges. Und handle nicht ganz verschwenderisch. Gewiss, die Verschwender sind die Brüder der Satane; und der Satan ist gegenüber seinem Herrn sehr undankbar. Doch wenn du dich nun von ihnen abwendest - im Trachten nach einer Barmherzigkeit von deinem Herrn, die du dir erhoffst -, so sag zu ihnen milde Worte. Und lasse deine Hand nicht an deinem Hals gefesselt sein, strecke sie aber auch nicht vollständig aus, sonst würdest du getadelt und (aller Mittel) entblößt dasitzen. Gewiss, dein Herr gewährt die Versorgung großzügig, wem Er will, und bemisst auch. Gewiss, Er kennt und sieht Seine Diener wohl. Und tötet nicht eure Kinder aus Furcht vor Verarmung; Wir versorgen sie und auch euch. Gewiss, sie zu töten ist ein großes Vergehen. Und nähert euch nicht der Unzucht. Gewiss, sie ist etwas Abscheuliches - und wie böse ist der Weg. Und tötet nicht die Seele, die Allâh verboten hat (zu töten), außer aus einem rechtmäßigen Grund. Wer ungerechterweise getötet wird, dessen nächstem Verwandten haben Wir Ermächtigung erteilt (, Recht einzufordern); doch soll er nicht maßlos im Töten sein, denn ihm wird gewiss geholfen. Und nähert euch nicht dem Besitz des Waisenkindes, außer auf die beste Art, bis es seine Vollreife erlangt hat. Und erfüllt die (eingegangene) Verpflichtung. Gewiss, nach der (Erfüllung der) Verpflichtung wird gefragt werden. Und gebt volles Maß, wenn ihr messt, und wägt mit der richtigen Waage; das ist besser und eher ein guter Ausgang. Und verfolge nicht das, wovon du kein Wissen hast. Gewiss, Gehör, Augenlicht und Herz, - all diese -, danach wird gefragt werden. Und gehe nicht übermütig auf der Erde einher. Du wirst ja die Erde nicht aufreißen noch die Berge an Höhe erreichen (können). Das schlechte (Verhalten) in alledem ist bei deinem Herrn verabscheut. Das ist etwas von dem, was dir dein Herr an Weisheit (als Offenbarung) eingegeben hat. Und setze neben Allâh keinen anderen Gott, sonst wirst du in die Hölle geworfen, getadelt und verstoßen. (Sûra 17:22-39).
Und Wir gaben ja Luqman Weisheit: „Sei Allâh dankbar." Und wer dankbar ist, der ist nur zu seinem eigenen Vorteil dankbar. Und wer undankbar ist, - so ist Allâh Unbedürftig und Lobenswürdig. Und (gedenke,) als Luqman zu seinem Sohn sagte, indem er ihn ermahnte: „O mein lieber Sohn, geselle Allâh nicht(s) bei, denn Götzendienst ist fürwahr ein gewaltiges Unrecht." Und Wir haben dem Menschen seine Eltern anbefohlen - seine Mutter hat ihn unter wiederholter Schwäche getragen, und seine Entwöhnung (erfolgt) innerhalb von zwei Jahren -: „Sei Mir und deinen Eltern dankbar. Zu Mir ist der Ausgang." Wenn sie sich aber darum bemühen, dass du Mir das beigesellst, wovon du kein Wissen hast, dann gehorche ihnen nicht, doch geh mit ihnen im Diesseits in rechtlicher Weise um. Und folge dem Weg dessen, der sich Mir reuig zuwendet. Zu Mir wird hierauf eure Rückkehr sein, da werde Ich euch kundtun, was ihr zu tun pflegtet. O mein lieber Sohn, gewiss, wäre es auch das Gewicht eines Senfkorns und befände es sich in einem Felsen oder in den Himmeln oder in der Erde, bringt es Allâh bei. Gewiss, Allâh ist Feinfühlig und Allkundig. „O mein lieber Sohn, verrichte das Gebet, gebiete das Rechte und verbiete das Verwerfliche und ertrage standhaft, was dich trifft. Gewiss, dies gehört zur Entschlossenheit (in der Handhabung) der Angelegenheiten. Und zeige den Menschen nicht geringschätzig die Wange und gehe nicht übermütig auf der Erde einher, denn Allâh liebt niemanden, der eingebildet und prahlerisch ist. Halte das rechte Maß in deinem Gang und dämpfe deine Stimme, denn die widerwärtigste der Stimmen ist wahrlich die Stimme der Esel." (Sûra 31:12-19).
O die ihr glaubt, berauschender Trank, Glücksspiel, Opfersteine und Lospfeile sind nur ein Greuel vom Werk des Satans. So meidet ihn, auf dass es euch wohl ergehen möge! Der Satan will (ja) zwischen euch nur Feindschaft und Hass säen durch berauschenden Trank und Glücksspiel und euch vom Gedenken Allâhs und vom Gebet abhalten. Werdet ihr (damit) nun wohl aufhören? (Sûra 5:90-91).
Sondern trachte mit dem, was Allâh dir gegeben hat, nach der jenseitigen Wohnstätte, vergiss aber auch nicht deinen Anteil am Diesseits. Und tu Gutes, so wie Allâh dir Gutes getan hat. Und trachte nicht nach Unheil auf der Erde, denn Allâh liebt nicht die Unheilstifter. (Sûra 28:77).
Diese Auswahl kann durch viele weitere Textstellen aus dem Qurân und aus den Überlieferungen Muhammads gestützt werden. An sich genügt sie jedoch für eine Darstellung der grundlegenden Moralvorstellungen des Islâm. Diese islâmischen Moralvorstellungen sind in jedem Fall einzigartig. Sie sind von Gott nicht lediglich eingeführt, um gelegentlich bewundert zu werden, sondern um durchgesetzt und wirksam zu werden. Sie sollen dem Individuum bei der Entwicklung seiner Persönlichkeit helfen, bei der Veredelung seines Charakters auf mustergültigste Weise, bei der Festigung seiner Bindungen und bei der Konsolidierung seiner Verbindung zu Gott - der Quelle aller Güte. Die islâmischen Morallehren wurden auf keinen Fall konzipiert, um den Menschen einzuschüchtern oder passiv oder gleichgültig zu machen. Ein Beispiel kann diesen Punkt veranschaulichen: Wenn ein Muslim geschädigt oder unterdrückt wird, hat er die freie Wahl, sich entweder zu wehren und in gleicher Weise Vergeltung zu üben, oder zu vergeben und Gott die Folgen, die sich aus diesen Taten ergeben, zu überlassen. Er weiß, dass er dazu berechtigt ist, eine der beiden Maßnahmen zu ergreifen und er weiß auch, dass es besser für ihn ist, zu vergeben. Vergibt er, so tut er dies demnach aus freier Entscheidung und um der Liebe zu Gottes willen. Übt er Vergeltung, so übertritt er ebenfalls nicht das Gesetz und handelt nicht ungerecht. Er verteidigt seine Rechte, eine Geisteshaltung, die an sich eine unantastbare Verpflichtung darstellt und die rechtmäßigen Autoritäten dabei unterstützt, für Ordnung und Gerechtigkeit zu sorgen. Würde der Islâm absolute Vergebung fordern, wie es einige andere Glaubensrichtungen theoretisch tun, wären viele undisziplinierte Menschen dazu verleitet, Verwerfliches zu tun und alle Grenzen zu überschreiten. Würde der Islâm einzig Vergeltung fordern, wie es einige andere Glaubensrichtungen schonungslos lehren, gäbe es weder Platz für Barmherzigkeit und Geduld noch für spirituelle Weiterentwicklung und moralische Reife. In diesem Fall würden viele schöne Eigenschaften des Menschen verebben und viele moralische Potenziale niemals verwirklicht werden.
Es ist allgemein bekannt, dass Menschen, denen gelehrt wird, unter allen Umständen zu vergeben, ihre Lehren nicht praktizieren und wahrscheinlich nicht praktizieren können, da dies auf lange Sicht weder im Interesse der Menschheit noch im Interesse der Moralität selbst ist. Gleichermaßen haben Menschen, denen gelehrt wird, streng Vergeltung zu üben, wenig oder kaum Respekt für menschliche Tugenden und kümmern sich weniger um moralische als um allgemeingültige Regeln. Der Islâm - die göttliche Pflege der menschlichen Natur - hat hingegen die richtige Antwort auf Probleme der Menschen. Hinsichtlich der Übeltäter, die auf eine zweite Chance blicken, sich möglicherweise bessern oder Nutzen daraus ziehen, wenn man ihnen vergibt, ist es empfehlenswert und wünschenswert zu vergeben. Hinsichtlich derjenigen, die den Zweck der Vergebung missverstehen könnten oder versucht sind, dem falschen Kurs zu folgen, ist Vergeltung in gleichem Maß allerdings zulässig. Daher ist die Haltung des Muslims in jedem Fall vernünftig und nutzenstiftend. Vergibt er, so erfreut er Gott, behält die Oberhand und trägt zur Besserung des Übeltäters bei. Übt er Vergeltung, so verteidigt er das Recht, sorgt für Ordnung und Gerechtigkeit und hilft dabei, das Verwerfliche zu unterbinden. Was ist nun einwandfreie Moral? Die Haltung eines Menschen, der sich schonungslos und willkürlich rächt, oder die Moral eines Muslims, der Platz für Barmherzigkeit und Vergebung schafft und außergewöhnliche Umstände berücksichtigt? Und wer ist im Normalfall einwandfrei: Derjenige, der vergibt, weil er weiß, dass er keine Vergeltung üben darf, oder ein Muslim, der vergibt, wobei er sich völlig bewusst ist, dass er rechtmäßig Vergeltung üben dürfte? Was ist wahre Vergebung? Vergebung, die aus äußerem Druck und äußerer Untersagung anderweitigen Handelns resultiert, oder Vergebung, die aus Entscheidungs- und Handlungsfreiheit resultiert? Es ist nicht verwunderlich, dass die moralischen Prinzipien des Islâms vernünftig, einzigartig und anpassungsfähig sind: Sie sind die Anweisungen Gottes - der Quelle aller Güte und Moral.