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Auswendiglernen als mündliche Bewahrung





 





Das erste Mittel zur Bewahrung des Qurân war und ist noch die mündliche Weitergabe. Das allgemein bekannte Prinzip der mündlichen Bewahrung wird in der muslimischen Literatur Tawâtur genannt, was man mit „stetige Aufeinanderfolge“ oder „ununterbrochene Weitergabe“ übersetzen könnte. Der Qurân selbst beschreibt die Offenbarung als die mündliche Vermittlung eines mündlichen Textes: „Wir werden dich lesen lassen, und dann wirst du nichts vergessen.“ (Sûra 87:6)





 





Daher war bzw. ist der erste und beste Schutz vor Verfälschungen und Entstellungen des offenbarten Textes die hohe Anzahl von Qurânlesern, die den Text auswendig beherrschen und über eine weite geografische Fläche verstreut waren bzw. sind.





 





Nach der Verkündigung der Botschaft des Islâm gab es zu Lebzeiten des Propheten Muhammad  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken  im Hauptherd des Islâms damals, also in Madîna und Makka, eine große Anzahl von Hâfiz (Pl. huffâz und Hâfizûn), so nennt man die Menschen, die den ganzen Qurân auswendig können. Bemerkenswerterweise bedeutet dabei das Wort hâfiz ursprünglich „Bewahrer“.





 





Diese Sorge um die Bewahrung des Wortlautes kann man nie genug bewundern, wenn man zuerst an den unermüdlichen Eifer der frühen Gläubigen für den Islâm als die neue Religion und an das kulturelle Niveau der Araber von damals denkt.





 





Die Eigenart der Offenbarung als mündliche Vermittlung forderte vom Propheten  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken  die ständige Revision und auch die Nachprüfung der Form. Das musste exakt den Wortlaut der von ihm empfangenen Offenbarungen haben.





 





Die Quellen versichern die folgende Tatsache: Jedes Jahr im Ramadân trug der Prophet  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken  dem Erzengel Gabriel den bisher offenbarten Teil des Qurân vor. Im letzten Jahr ließ Gabriel den Propheten den ganzen Qurân zweimal wiederholen. Dabei beschäftigte sich der Prophet auch damit, die Reihenfolge der Verse und Sûren nachzuprüfen. Diese Sorgfalt war wegen des fortlaufenden Empfangs neuer Offenbarungen erforderlich. Die letzte Vergleichung (‘ardah âchîrah) hat Berühmtheit erlangt. Außerdem war der Prophet gewohnt, in jeder Nacht des Fastenmonats einen zusätzlichen Gottesdienst von außergewöhnlicher Dauer zu halten. Er verrichtete diese Gebete oft öffentlich in Gesellschaft seiner Gefährten. Der Prophet  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken  trug jede Nacht den Qurân teilweise vor, so dass der ganze Qurân im Laufe des Monats rezitiert wurde.





 





Der Qurân war also seinem Wesen nach das mündlich übermittelte Wort Allâhs. Er wurde vorgetragen, wiederholt und im Herzen bewahrt. Der Qurân wurde im Laufe der Geschichte von einer Generation zu der anderen auf diese Weise mündlich weitergegeben, und zwar durch diese ungeheure Anzahl von Hâfiz, einmal im Sinne von „Bewahrer“ und ein anderes Mal im Sinne von „diejenigen, die den gesamten Qurân auswendig konnten“.





 





Bis heute noch gibt es viele Leute, die den ganzen Qurân auswendig lernen. Es sind Menschen unterschiedlicher Altersstufen: Kinder Frauen und Männer, Junge und Alte, Araber und Nichtaraber, Fachleute und Interessenten.





Historische Fakten über die Niederschrift des Qurân





 





Schon in der frühen Zeit des Islâm gab, es also schriftliche Blätter des Wortlautes verschiedener Sûren des Qurâns. Verschiedene geschichtliche Tatsachen geben uns Rechenschaft über das, was geschah. In der Reihe solcher Berichte gehört die Bekehrungsgeschichte von Umar ibn Al-Chattâb (auch mit verschiedenen Überlieferungen), die bekannteste aller Bekehrungen, welche die islâmische Geschichte kennt. Umar, der spätere zweite Kalif gilt als die vierzigste Person, die den Islâm angenommen hatte; das war im Jahre 8 vor der Hidschra (Jahr 5 der Sendung).





 





Er war ursprünglich einer der gefährlichsten Gegner der jungen muslimischen Gemeinde, ein Mann von 30 oder 35 Jahren. Er verfügte über enorme Muskelkraft und Energie und liebte Spiel, Wein und Poesie. Er galt als ebenso gefühlvoll wie jähzornig.





 





Eigentlich hatte er an dem Tag, an dem die Handlung spielt, vor, den Propheten zu töten. Doch gerade als er zu ihm hingehen wollte, erfuhr er, dass sich seine Schwester Fâtima und deren Mann Sa’îd ibn Zayd dem Islâm angeschlossen hatten. Wutentbrannt lief er zu ihrem Haus Schon auf der Straße vor der Haustür hörte er, wie jemand den beiden den Qurân vortrug. Umar stürmte in das Zimmer. Der Rezitator versteckte sich, so schnell er nur konnte, während Fâtima die Qurânblätter an sich nahm und unter ihren Beinen versteckte.





 





„Was war das für ein Murmeln, das ich hörte?“, herrschte Umar sie an. „Du hast nichts gehört“, versuchten Fâtima und ihr Mann ihn zu beruhigen.





 





Da rief Umar: „Doch, das habe ich, bei Allâh, und ich weiß, dass ihr Muhammad in seiner Religion folgst!“





 





Er wollte auf seinen Schwager losgehen, aber Fâtima warf sich zwischen die beiden, so dass ihr Umar unbeabsichtigt einen gewaltigen Schlag versetzte.





 





„Ja, wir haben uns zum Islâm bekehrt, und wir glauben an Allâh und Seinen Gesandten - so tu nun, was du willst.“, riefen Fâtima und Sa’îd.





 





Umar jedoch bereute schon sein Verhalten, das Blut im Antlitz seiner Schwester rührte ihm das Herz. Mit sanfter Stimme fragte er sie nach der Schrift. Nachdem Fâtima das Versprechen abgenommen hatte, dass er sich einer rituellen Waschung unterziehen ließ, da kein Unreiner den Qurân berühren dürfe, händigte sie ihm die Blätter aus. Umar begann, die Sûra Tâhâ (Nr. 20) zu rezitieren. Nach wenigen Versen schon hielt er ein und rief:





 





„Wie wunderschön, wie erlesen ist diese Rede (mâ ahsana hadhâ Al-kalâm wa-akramah)!“





 





Nachdem er zu Ende gelesen hatte, suchte er sofort Muhammad auf, um sich vor ihm zum Islâm zu bekehren.





 





Der Verlauf der Schlacht von Siffîn im Jahre 657 belegt, dass dem Schriftstück schon sehr früh ein hoher Status zukam. Die Soldaten des militärisch unterlegenen Mu’âwîa hefteten Blätter mit Texten aus dem Qurân auf die Spitzen ihrer Lanzen und hielten somit den damaligen Kalifen Alî ibn Abû Tâlib Von einem Angriff, mit allen für die weitere Geschichte des Islâm so weitreichenden Konsequenzen ab.





 





Vernünftigerweise muss angenommen werden, dass die allerersten Offenbarungen, die der Prophet erhalten hatte, nicht sofort niedergeschrieben wurden, einfach weil es damals weder Gläubige noch Gefährten gab. Es bestand keine Gefahr, dass der Prophet sie vergessen konnte, denn er trug sie oft bei seiner Andacht für Allâh und in seinen Unterhaltungen mit den neu zu Bekehrenden vor. Außerdem waren diese Texte der ersten Zeit weder lang noch zahlreich.





 





Als der Prophet Muhammad  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken  verstarb, war der ganze Qurân aufbewahrt und niedergeschrieben, jedoch auf losen Blättern. Doch hat der Prophet nach vorherrschender muslimischer Auffassung  keine Sammlung aller schriftlich fixierten Sûren anfertigen lassen.





 





Einige jener, die als gute Kenner des Qurân geachtet waren, fielen in Schlachten. Der Kalif Abû Bakr erkannte daraufhin sofort die zwingende Notwendigkeit, den Qurân zu kodifizieren; diese Aufgabe wurde schon wenige Monate nach dem Tode des Propheten erfüllt. Dies geschah folgendermaßen:





 





Der Feldherr und spätere Kalif Umar ibn Al-Chattâb gab dem ersten Kalifen Abû Bakr (623-634) den dringenden Rat, den Qurân zu sammeln und in einem zuverlässigen Exemplar der Gemeinde zugänglich zu machen. „Wie können wir etwas tun, was der Gesandte Allâhs selbst niemals getan hat?“, erwiderte (nach einer Überlieferung) Zayd ibn Thâbit, als er von Umars Vorschlag erfuhr, die verstreuten Manuskripte zu sammeln. Diese Aussage lässt erkennen, wie wichtig die Aufgabe war und welche Bedeutung dieser Arbeit für die Sache des Islâm (auch später) zukam.





 





Nach einigem Zögern beauftragte Abû Bakr den Schreiber des Propheten Zayd ibn Thâbit mit der Aufgabe, eine Abschrift des vollständigen Textes in Form eines Buches vorzubereiten. Der Kalif machte es ihm jedoch zur Pflicht, zwei schriftliche Zeugnisse für jeden Vers zu finden, ehe dieser in die endgültige Abschrift aufgenommen wurde. Auf Verlangen des Kalifen brachten die Einwohner von Madîna ihm die in ihrem Besitz befindlichen Abschriften der Textstücke; die Reichen hatten sie auf Pergament oder auf Leder aufgezeichnet, die Armen auf flachen Steinen oder gar auf zerbrochenen Scherben.





 





Die Quellen versichern, dass lediglich zwei Verse sich auf die schriftliche Überlieferung nur eines einzigen Menschen stützten; der ganze Rest fand sich in mehrfachen Aufzeichnungen nach dem direkten Diktat des Propheten.





 





Die Abschrift, genannt Mushaf (Gesammelte Blätter) wurde bei dem Kalifen Abû Bakr aufbewahrt. Nach dem Tode Abû Bakrs wurde diese Urausgabe des Qurân seinem Nachfolger Umar (634-644) übergeben. Nach ihm wurde sie seiner Tochter Hafsa, eine der Witwen des Propheten, anvertraut. Diese Urausgabe des Qurân ist die Grundlage der späteren, auch der heute als kanonisch geltenden Fassung des Qurân.





 





Wie lange damals schon die Gewohnheit des Niederschreibens der Offenbarung bestand, lässt sich nicht genau angeben; aber zweifellos wuchs die Zahl der Muslime ebenso wie die Zahl der Abschriften des heiligen Textes in den letzten achtzehn Lebensjahren des Propheten immer mehr an.





Die Prophetengefährten lernten den Qurân auswendig und trugen ihn mündlich vor. Neben dieser mündlichen Bewahrung des Qurân wurde er auch zu Lebzeit des Gesandten Allâhs niedergeschrieben.





 





Der Qurân wird immer wieder Al-Kitâb „das Buch“ genannt. Das Konzept des Kitâb im Qurân selbst ist zwar oft nicht mit der Vorstellung von einem Buch zu identifizieren, wie sie heute vorherrscht. Nach diesem Konzept kennt das Kitâb als Bezeichnung für den Qurân nicht die Dichotomie von Mündlichkeit und Schriftlichkeit des offenbarten Wortes, insofern die Offenbarung eine notwendigerweise zu rezitierende Schrift ist:





 





„Diejenigen, denen Wir die Schrift gegeben haben, lesen sie, wie es ihr zusteht; sie glauben daran.“ (Sûra 2:121)





 





„Genügt es ihnen denn nicht, dass Wir das Buch auf dich hinab gesandt haben, das ihnen verlesen wird?“ (Sûra 29:51)





 





„Gewiss, diejenigen, die Allahs Buch verlesen,...“ (Sûra 35:29)





 





Wenn wir die oben erwähnten Qurânverse (und zahlreiche andere) vergleichen, dann stellen wir Folgendes fest: Das Kitâb bedeutet explizit die Schriftlichkeit sowie auch - jedoch implizit - die Mündlichkeit. Das kann auch schon als eine der Eigenarten des Qurân in Betracht genommen werden.





 





Als Buch im eigentlichen Sinne, also als ein einheitliches, irgendwie zusammengeheftetes, geschriebenes oder gedrucktes Dokument von einer bestimmten Größe, liegt der Qurân jedoch erst nach der Kodifizierung der verstreuten Manuskripte unter dem 3. Kalifen Uthmân vor.





 





Nun gehen wir auf die Geschichte des Vorganges der Niederschrift des Qurâns ein.





 





Es gab unter den Prophetengefährten einige Personen, die schreiben und lesen konnten. Zu ihnen gehörte Zayd ibn Thâbit. Diese Personen wurden vom Propheten beauftragt, den Qurân niederzuschreiben. Daher bezeichnet man sie als „Schreiber der Offenbarung“. Als Schreibmaterial dienten Zettel, Steine, Palmblätter, Seidentücher, Holzstücke oder Leder.





 





Als der Prophet Muhammad  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken  den Qurân seinen Gefährten diktierte, versicherte er, dass es sich dabei um die Offenbarung handelte, die ihm von Allâh zuteil wurde. Er hat nicht alles auf einmal dikktiert. Muhammad  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken  erhielt diese Offenbarungen in Bruchstücken. Es ist durchaus natürlich, dass der offenbarte Wortlaut jeweils die Lösung eines zeitgemäßen Problems betraf:





 





Wenn einer seiner Genossen starb bedurfte es für diesen Tag einer Offenbarung über die Erbschaft und nicht etwa über das Gesetz, das z. B. wegen alkoholischen Getränken oder wegen Mordes zur Anwendung kommen sollte.





 





Die Offenbarungen kamen ihm also bruchstückweise und von Zeit zu Zeit, und sobald er sie erhalten hatte, gab er sie weiter. Er verlangte von seinen Gefährten nicht nur, sie auswendig zu lernen, sondern auch sie niederzuschreiben und Vervielfältigungen anzufertigen. Nach jeder neuen Offenbarung bestimmte er außerdem die Stelle, die dieser neue Wortlaut im Gefüge des Ganzen einnehmen sollte; denn der Qurân bildet keine mechanisch-chronologische Einteilung, was wir später auch behandeln werden.





 





Theoretisch hätte die Offenbarung von vornherein als primärer schriftlicher Text oder gleich als Buch vorgestellt werden können vergleichbar mit den Schriften der Juden und Christen unter den Arabern doch dies war nicht der Fall.





 





Vergleichen wir das Wort Iktatabahâ „schreiben; abschreiben, kopieren“im Vers 5 in der makkanischen Sûra 25:





 





„Und sie sagen: „(Es sind) Fabeln der Früheren, die er sich aufgeschrieben hat.“ So werden sie ihm morgens und abends vorgesagt.“ (Sûra 25:5)





 





Dementsprechend können wir Folgendes herauslesen: Der Prophet hat sich die Offenbarung aufschreiben lassen, die von den Makkanern als Fabeln der Alten bezeichnet wurden.



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