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Das, was bisher gesagt wurde, macht deutlich, dass die Anfänge des Islâm in der Darlegung der genauen Richtlinien liegen, auf denen die menschliche Beziehung zu Gott errichtet werden soll; sein ganzes individuelles und soziales Leben ist eineÜbung, die darauf ausgerichtet ist, dieses Verhältnis zu entwickeln und zu stärken. Imân (Glaube), der Kernpunkt unserer Religion, besteht aus der Anerkennung dieser Beziehung durch den menschlichen Intellekt und Willen, und der Islâm ist die tatsächliche Unterwerfung, die Art und Weise, sich dem Willen Gottes in allen Lebens- und Verhaltensbereichen zu fügen. Jetzt sind wir in der Lage, einen Blick auf die Lebensgestaltung zu werfen, die der Islâm anstrebt.





 





Diese Lebensgestaltung, der Verhaltenskodex, ist als die Scharî’a bekannt. Ihre Quellen sind der Qurân und die Sunna (die Überlieferung der Worte und Taten) des Propheten  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken .





 





Das letzte Buch Gottes und der letzte Gesandte stellen heute die Wahrer dieser Wahrheit dar, und sie fordern die gesamte Menschheit auf, die Wahrheit anzuerkennen. Gott, der Allmächtige, verlieh dem Menschen im ethischen Bereich freien Willen, und auf diesen freien Willen bezieht sich die Aufforderung, die Wahrheit anzuerkennen. Diese Anerkennung ist folglich immer ein Akt des Wollens und nicht des Zwangs.





 





Es ist jedem, der zustimmt, dass das vom Propheten  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken  und vom Heiligen Buch dargelegte Konzept der Wirklichkeit wahr ist, selbst überlassen, den weiteren Schritt zu tun und seinen Willen dem Willen Gottes zu unterwerfen.





 





Es ist diese Unterwerfung, die man IsIâm nennt. Durch sie trägt der Glaube (Imân) im gegenwärtigen Leben Früchte. Diejenigen aber, die solches tun, heißen Muslime, weil sie aus ihrem freien Willen heraus Gott als ihren Herrscher anerkennen, sich in Seinen göttlichen Willen ergeben und sich dazu verpflichten, ihr Leben in Übereinstimmung mit Seinen Geboten zu gestalten.





 





All die Menschen, die sich so dem Willen Gottes fügen, werden zu einer Gemeinschaft zusammengeschweißt, und auf diese Weise entsteht die (muslimische Gesellschaft). Es ist also eine ideologische Gesellschaft, eine Gesellschaft, die sich grundlegend von den auf Rassenzugehörigkeit, Territorium oder Hautfarbe begründeten Gesellschaften unterscheidet. Diese Gesellschaft ist das Ergebnis eines zwischen den Menschen und ihrem Schöpfer bestehenden “Vertrages”. Diejenigen, die diesem Vertrag beitreten, verpflichten sich, Gott als ihren Herrscher anzuerkennen, Seine Rechtleitung als Höchste Instanz und Seine Gebote als absolutes Gesetz.





 





Sie verpflichten sich ebenfalls, Seine Einteilung in Gut und Böse, Recht und Unrecht, Erlaubtes und Verbotenes ohne zu fragen und ohne jeglichen Zweifel anzuerkennen. Kurz, die islâmische Gesellschaft erklärt sich damit einverstanden, ihr Wollen auf die von Gott, dem Allwissenden, vorgeschriebenen Grenzen zu beschränken.





 





Mit anderen Worten, es ist Gottes, und nicht des Menschen Wille, der in einer muslimischen Gesellschaft die ursprüngliche Gesetzesquelle darstellt.





 





Wenn eine solche Gesellschaft entsteht, dann schreiben ihr die Propheten und die Bücher ein Gesetz zur Lebensgestaltung vor, nämlich die Scharî’a. Die Gesellschaft ist dann aufgrund des von ihr eingegangenen Vertrages verpflichtet, sich diesem Gesetz entsprechend zu verhalten. Es ist darum undenkbar, dass eine muslimische Gesellschaft, die diesen Namen verdient, absichtlich eine andere Lebensordnung als die Scharî’a annehmen könnte. Tut sie es, ist ihr Vertrag ipso facto gebrochen, so dass die gesamte Gesellschaft “unislâmisch” wird.





 





Wir müssen jedoch zwischen den alltäglichen Sünden oder Übertretungen der einzelnen und einer absichtlichen Auflehnung gegen die Scharî’a einen deutlichen Unterschied machen. Erstere mögen keinen Vertragsbruch darstellen, während das letztere nichts anderes als dies bedeuten würde. Der Punkt, der hier klar verstanden werden sollte, ist, dass eine islâmische Gesellschaft, die sich bewusst entscheidet, die Scharî’a nicht anzuerkennen und beschließt, ihre eigenen Gesetze in Kraft treten zu lassen, oder sie in völliger Missachtung der Scharî’a aus irgendeiner anderen Quelle entlehnt, dadurch ihren Vertrag mit Gott bricht und ihr Recht, “ islâmisch”  genannt zu werden, verwirkt.





 





Die Ziele und Charakteristika dieser Lebensgestaltung





 





Wir wollen uns nun bemühen, die von der Scharî’a ins Auge gefasste Lebensgestaltung verstehen zu lernen. Dazu ist es notwendig, dass wir mit einer klaren Darlegung der Ziele und Grundbegriffe der Scharî’a beginnen.





 





Das oberste Ziel der Scharî’a besteht darin, das menschliche Leben auf der Basis von Ma’rûfât zu errichten und es von den Munkarât zu reinigen. Der Begriff Ma’rûfat bezeichnet alle Tugenden und alle guten Eigenschaften, die vom menschlichen Gewissen von jeher als ‘gut’ anerkannt wurden. Umgekehrt bezeichnet das Wort Munkarât alle Sünden und Übel, die von der menschlichen Natur schon immer als “schlecht” verurteilt wurden.





 





Kurz, die Ma‘rûfât stehen im Einklang mit der menschlichen Natur und ihren allgemeinen Bedürfnissen und die Munkarât tun genau das Gegenteil. Die Scharî’a gibt einen klaren Überblick über diese Ma’rûfât und Munkarât und bezeichnet sie als die Normen, denen das individuelle und gemeinschaftliche Verhalten entsprechen sollte.





 





Die Scharî’a beschränkt ihre Aufgabe jedoch nicht darauf, uns nur mit einer Aufzählung von Tugenden und Lastern zu versehen; sie legt die gesamte Lebensgestaltung in solcher Weise fest, dass die Tugenden blühen und die Laster das menschliche Leben nicht besudeln und zerstören können. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Scharî’a in ihre Anweisungen all jene Faktoren aufgenommen, die das Anwachsen des Guten fördern und Schritte zur Beseitigung von Hindernissen empfohlen, die sein Wachstum und seine Entfaltung hemmen könnten.





 





Dadurch ist eine zusätzliche Reihe von Ma’rûfât entstanden, die aus den Ursachen und Mittein bestehen, durch die das Gute motiviert und genährt wird, sowie eine weitere Reihe von Ma’rûfât die sich aus Geboten zusammensetzt, durch die Dinge untersagt werden, die sich hemmend oder verhindernd auf das Gute auswirken könnten. Ebenso gibt es eine zusätzliche Anzahl von Munkarât, die ein Anwachsen des Schlechten fördern oder zulassen könnten.





 





Die Scharî’a formt die islâmische Gesellschaft auf eine solche Weise, dass es einem ungehinderten Anwachsen des Guten, der Tugenden und der Wahrhaftigkeit in jedem Bereich menschlichen Handelns dienlich ist, und sie gewährt den Kräften des Guten in jeder Hinsicht größtmöglichen Spielraum. Gleichzeitig entfernt sie alle Hindernisse aus dem Pfad der Tugend. Dabei versucht sie, das Schlechte in ihrem sozialen Verhaltensschema auszurotten, indem sie das Laster verbietet, die Ursachen seines Auftretens und Anwachsens aus dem Weg räumt, die Hintertüren zu schließen trachtet, durch die es sich in eine Gesellschaft einschleicht und abschreckende Maßnahmen ergreift, um sein Auftauchen in Schach zu halten. 





Ma’rûfât und Munkarât





 





Ma’rûfât: Die Scharî’a unterscheidet bei den Ma’rûfât drei Kategorien: Das Obligatorische (Fard und Wâdschib), das Empfohlene (Matlûb / Mustahabb) und das Zulässige (Mubâh). Eine muslimische Gesellschaft muss darauf achten, dass die unerläßlichen Pflichten, (Ma’rûfât), eingehalten werden, und in der Scharî’a gibt es hierüber klare und bindende Richtlinien. Die empfohlenen Pflichten (Matlûb) sind solche, die die Scharî’a in einer muslimischen Gesellschaft eingehalten und praktiziert sehen möchte.





 





Einige davon werden eindeutig von uns verlangt, während andere uns durch Folgerung und Ableitung von dem, was der Prophet  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken  gesagt hat, nahegelegt worden sind. Abgesehen davon wurden in der von der Scharî’a dargelegten Lebensordnung besondere Vorkehrungen für deren Wachstum und die Förderung einiger von ihnen getroffen. Andere wiederum werden einfach von der Scharî’a empfohlen, wobei es der Gesellschaft oder dem einzelnen besonders Rechtschaffenen überlassen bleibt, sich ihrer Förderung anzunehmen.





 





Bleibt noch das Zulässige, (Mubâh). Genau genommen gehört nach der Scharî’a alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, zu den zulässigen Ma’rûfât, das heißt, zu den Mubâh. Es ist keineswegs notwendig, dass sie uns ausdrücklich erlaubt oder ausdrücklich unserer Wahl anheimgestellt werden. Folglich ist der Bereich der zulässigen Ma’rûfât sehr weit gespannt, so weit, dass für einen Muslim alles, außer dem, was in der Scharî’a eigens verboten wurde, erlaubt ist. Und das ist genau der Bereich, in dem uns freie Hand gewährt wurde und wir nach eigenem Ermessen Gesetze erlassen können, um den Bedürfnissen und Gegebenheiten unserer Zeit zu entsprechen – natürlich in (Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Schari’a.





 





Munkarât: Die Munkarât (oder die im Islâm verbotenen Dinge) sind in zwei Kategorien unterteilt: Harâm. das heißt, Dinge, die unter allen Umständen verboten sind, und Makrûh, das heißt, Dinge, die lediglich unerwünscht sind. Durch klare, unumgängliche Anweisungen ist dem Muslim auferlegt, sich all dessen, was für Harâm erklärt wurde, vollkommen zu enthalten. Die Abneigung gegen die Makrûhât wird in der Scharî’a auf die eine oder andere Weise deutlich, das heißt, entweder ausdrücklich oder sie ergibt sich durch stillschweigende Folgerungen, wobei der Grad der Abneigung entsprechend angezeigt ist. So gibt es zum Beispiel einige ans Verbotene grenzende Makrûhât, während andere in der Nähe des Zulässigen liegen. Natürlich gibt es eine große Zahl von Makrûhât, deren Reichweite sich zwischen den beiden Extremen des Verbotenen und des Erlaubten bewegt. Darüber hinaus werden in einigen Fällen in der Scharî’a ausdrücklich Maßnahmen zur Verhinderung der Makrûhât vorgeschrieben, während solche Vorkehrungen in anderen Dingen dem Ermessen der Gesellschaft oder dem Einzelnen überlassen bleiben.





 





Einige Wesentliche Merkmale derislamischen Weltanschauung





 





Die Scharî’a schreibt also Richtlinien für die Regelung sowohl unseres individuellen wie auch unseres gemeinschaftlichen Lebens vor. Diese Richtlinien befassen sich mit so verschiedenen Bereichen wie den religiösen Riten, den persönlichen Charaktereigenschaften, der Sittenlehre, den Gewohnheiten, den familiären Verhältnissen, mit sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten, Verwaltung, den Rechten und Pflichten der Bürger, mit der Rechtssprechung und den Gesetzen für Krieg und Frieden und internationale Beziehungen. Kurz, sie umfasst all die verschiedenen Bereiche des menschlichen Lebens.





 





Diese Richtlinien zeigen auf, was gut und schlecht, was vorteilhaft und nützlich und was nachteilig und schädlich ist; welches die Tugenden sind, die wir pflegen und fordern sollten und welches die Übel, die wir unterdrücken und gegen die wir uns vorsehen müssen: wie weit sich der Bereich der freien Willensentscheidung anheimgestellten persönlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten erstreckt und wo seine Grenzen liegen; und schließlich, welcher Mittel und Wege wir uns bedienen können, um eine dynamische Gesellschaftsordnung zu errichten, und welche Methoden wir vermeiden sollten. Die Scharî’a stellt eine vollständige Lehensauffassung dar – nichts daran ist überflüssig, nichts fehlt.





 





Ein weiterer bemerkenswerter Zug der Scharî’a ist, daß sie ein organisches Ganzes ist. Die gesamte Lehensordnung. die der Islâm vorzeichnet, wird durch denselben Geist belebt und somit muss jede unangebrachte Teilung des Ganzen ebenso dem Geist wie dem Aufbau der islâmischen Ordnung schaden. In dieser Beziehung könnte man sie mit dem menschlichen Körper vergleichen, der ein organisches Ganzes bildet. Ein vom Körper abgetrenntes Bein kann man nicht als ein Achtel oder ein Sechstel des Menschen bezeichnen, weil das Bein nach seiner Abtrennung vom lebenden menschlichen Körper seine menschliche Funktion nicht mehr ausfüllen kann. Noch lässt es sich in den Körper eines anderen Lebewesens einsetzen in der Erwartung, dieses werde dem Ausmaß des Gliedes gemäß menschlich. Ebenso können wir uns keine richtige Meinung über die Nützlichkeit, Leistungsfähigkeit und Schönheit der Hand, des Auges oder der Nase eines Menschen bilden, wenn sie vom Körper getrennt sind, ohne ihre Stelle und Funktion im lebenden Körper zu betrachten.





 





Genau das kann man in Bezug auf die Lebensordnung sagen, die von der Scharî’a angestrebt wird. Islâm bedeutet die gesamte Lebensweise, nicht nur einen gesonderten Teil oder Teile davon. Folglich ist es weder sinnvoll, die verschiedenen Teile der Scharî’a voneinander getrennt zu betrachten und ohne Bezug auf das Ganze, noch hat es irgendeinen Zweck, einen beliebigen Teil herauszugreifen und ihn mit einem anderen “ismus” gleichzusetzen. Die Scharî’a kann nur dann reibungslos funktionieren und nur dann ihre Anwendbarkeit unter Beweis stellen, wenn die gesamte Lebensweise in Übereinstimmung mit ihren Geboten ausgerichtet wird – anders geht es nicht.





Die ethische Wertordnung im Islâm





 





Der Sinn für ethische Werte ist dem Menschen angeboren. Er hat dem Durchschnittsmenschen von jeher als Maßstab für sittliches Verhalten gedient, nach dem gewisse Eigenschaften als gut anerkannt, andere mißbilligt wurden. Während diese instinktive Fähigkeit von Mensch zu Mensch verschieden sein kann, vertritt das menschliche Gewissen einen mehr oder weniger einheitlichen Standpunkt bezüglich bestimmter moralischer Qualitäten, die als gut und bestimmter anderer, die als schlecht zu erachten sind. Was die moralischen Tugenden betrifft, so haben Gerechtigkeit, Mut, Tapferkeit und Wahrhaftigkeit stets Lob hervorgerufen und die Geschichte hat keine nennenswerte Zeitspanne zu verzeichnen, in der Falschheit, Ungerechtigkeit, Unehrlichkeit und Vertrauensbruch hochgehalten worden wären. Stets wurden Mitgefühl, Mitleid, Treue und Großmut geschätzt, während Selbstsucht, Grausamkeit, Geiz und Bigotterie nie den Beifall der menschlichen Gesellschaft fanden.





 





Die Menschen zollten Standhaftigkeit, Entschlossenheit und Mut schon immer Anerkennung, Ungeduld, Wankelmut, Feigheit und Dummheit dagegen wurden noch nie gebilligt. Würde, Beherrschung, Höflichkeit und Freundlichkeit wurden zu allen Zeiten zu den Tugenden gezählt, während Anmaßung, schlechtes Benehmen und Grobheit nie unter die guten moralischen Eigenschaften eingereiht worden sind. Stets waren es verantwortungsbewusste, pflichtgetreue Menschen, denen höchste Achtung zuteil wurde. Nie betrachtete man Unfähige, Träge und solche, die es an Pflichtgefühl mangeln ließen, mit Wohlwollen.





 





 Gleicherweise war die Auffassung bezüglich des Maßstabs für gut und schlecht im kollektiven Verhalten der Gesellsehaft als Ganzes stets einmütig. Nur die Gesellschaft, die die Tugenden der Ordnungsliebe, der Disziplin, der gegenseitigen Zuneigung und des Mitgefühls besitzt und eine auf Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit der Menschen basierende Gesellschaftsordnung errichtete, wurde als der Ehre und Achtung würdig angesehen. Im Gegensatz dazu wurden Desorganisation, Unordnung, Anarchie, Uneinigkeit, Ungerechtigkeit und soziale Ungleichheit immer als Zeichen des Verfalls und der Desintegration in einer Gesellschaft betrachtet. Raub, Mord, Diebstahl, Ehebruch, Betrug und Korruption wurden stets verurteilt.





 





Verleumdung, Klatschsucht und Erpressung wurden nie als nützliche gesellschaftliche Betätigung angesehen. Umgekehrt sind der Dienst an und die Pflege von Betagten, Treue zu Freunden, Beistand für die Schwachen, Mittellosen und Waisen und Fürsorge für die Kranken Tugenden, die von Anbeginn der Zivilisation an stets hoch geschätzt wurden. Anständige, höfliche, sanftmütige und aufrichtige Menschen waren immer und überall willkommen, ebenso wie jene, die rechtschaffen, ehrlich, pflichtbewusst und zuverlässig waren, deren Taten in Einklang mit ihren Worten standen.





 





Diejenigen, die sich mit ihrem eigenen, rechtmäßigen Besitz zufriedengaben und in der Erfüllung ihrer Verpflichtungen anderen gegenüber prompt waren, die in Frieden lebten und andere in Frieden leben ließen, und von denen man nur Gutes erwarten konnte, bildeten von jeher den Kern jeder gesunden menschlichen Gesellschaft.





 





Dies macht deutlich, dass menschliche Moralmaßstäbe tatsächlich allgemeingültig sind und der Menschheit zu allen Zeiten wohl vertraut waren. Gut und böse sind keine Mythen, die aufgestöbert werden müssten, sie sind bekannte Wirklichkeiten und werden von allen gleichermaßen verstanden. Das Gefühl für gut und böse ist schon im Wesen des Menschen verankert. Deshalb wird in der qurânischen Terminologie die Tugend als “Ma‘rûf” (etwas Wohlbekanntes) und das Übel als Munkar (etwas Unbekanntes) bezeichnet, das heißt, dass die Tugend als etwas für jeden Wünschenswertes gilt, und dass das Übel nicht dafür bekannt ist, sich auf irgendeine Art als wünschenswert erwiesen zu haben.





 





Diese Tatsache wird im Qurân erwähnt, wenn es heißt:





 





“Er gewährte der Seele den Sinn für das, was für sie unrecht und was für sie recht ist.” (Sûra 91:8)





 





Warum Unterschiede?





 





Die Frage, die jetzt auftaucht, lautet: wenn die grundlegenden Werte des Guten und Bösen so bekannt waren und es darüber praktisch ein allgemeingültiges Übereinkommen gab, warum existieren dann in dieser Welt unterschiedliche ethische Verhaltensweisen?





 





Warum widersprechen gewisse ethische Maßstäbe einander? Wo ist der Ursprung für diese Unterschiede zu suchen? Welche einzigartige Stellung nimmt der Islâm im Zusammenhang mit den vorherrschenden ethischen Wertvorstellungen ein? Aus welchen Gründen können wir behaupten, der Islâm besitze eine vollkommene ethische Wertordnung? Und was genau ist der bedeutende Beitrag des Islâm auf dem Gebiet der Ethik?





 





Diese Fragen sind wichtig und man muß sie ehrlich anpacken. Aber innerhalb des Rahmens dieser kurzen Abhandlung lassen sie sich nicht erschöpfend beantworten.





 





Hier sollen nur kurz gefasst einige der wichtigsten Punkte herausgegriffen werden, die uns schon gleich zu Beginn ins Auge springen, wenn wir die zeitgenössischen ethischen Wertordnungen und nicht miteinander übereinstimmenden moralischen Verhaltensweisen einer Prüfung unterziehen.





 





a) Den gegenwärtigen ethischen Wertordnungen gelingt es nicht, verschiedene moralische Tugenden und Normen zu integrieren, indem sie ihnen gewisse Grenzen setzen, ihnen einen bestimmten Nutzen zuschreiben und ihnen ihren eigenen Platz zuordnen. Aus diesem Grund sind sie nicht in der Lage, ein ausgewogenes und zusammenhängendes Konzept für gesellschaftliches Verhalten zu erstellen.





 





b) Die wahre Ursache ihrer Unterschiede scheint darin zu liegen, dass die ethischen Wertvorstellungen verschiedene Maßstäbe für gute und schlechte Taten setzen und voneinander abweichende Mittel zur Unterscheidung von Gut und Böse heranziehen. Es gibt auch Unterschiede in Bezug auf die Sanktion hinter dem Moralgesetz und bezüglich der Motive, die einen Menschen bewegen, es zu befolgen.





 





c) Durch eingehendes Nachdenken erkennen wir, dass die Gründe für diese Unterschiede aus den unvereinbaren Ansichten und Vorstellungen der einzelnen Völker über das Universum, die Stellung des Menschen darin und den Zweck des menschlichen Daseins auf Erden hervorgehen. Mannigfaltige Theorien über Ethik, Philosophie und Religion sind nichts anderes als ein Spiegelbild der ungeheuren Abweichungen in den Anschauungen der Menschheit über diese äußerst wichtigen Fragen, wie beispielsweise diese:





 





Gibt es einen Gott und einen Beherrscher des Kosmos, und wenn ja, ist es Einer oder gibt es viele Götter? Welches sind die göttlichen Eigenschaften? Was sind die Merkmale der Beziehung zwischen Gott und den Menschen? Hat Er irgendwelche Vorkehrungen getroffen, um die Menschheit durch den Irrgarten des Lebens zu führen oder nicht? Ist der Mensch Ihm gegenüber verantwortlich oder nicht? Wenn ja, wofür ist er dann vor Ihm verantwortlich? Was ist der letztliche Sinn der Erschaffung des Menschen, den er sein ganzes Leben lang nicht aus den Augen verlieren sollte?





 





Die Antworten zu diesen Fragen werden die Lebensweise, die Moralphilosophie und die ethische Verhaltensweise des einzelnen und der Gesellschaft bestimmen.





 





In dieser kurzen Abhandlung ist es schwierig für mich, die in der Welt vorherrschenden ethisch fundierten Weltanschauungen aufzuzählen und auf die Lösungen hinzuweisen, die jede von ihnen auf diese Fragen vorschlägt, sowie den Einfluss dieser Antworten auf die moralische Entwicklung der an diese Vorstellungen glaubenden Gesellschaft aufzuzeigen. Ich kann mich hier lediglich auf die islâmische Auffassung beschränken und diese werde ich eingehend zu erläutern suchen.





 



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