Artikel




TOLERANZ UND NACHSICHT IM ISLAM





Verfasser:


Dr. Abdurrahman ibn Abdulkarim Al-Sheha


Aus dem Arabischen übertragen


Souheil Thabti


Islamische Korrektur


Muhamed Seyfudin Ciftci


Überarbeitung von:


A. Ateia & Om Iman


Dr. Ghembaza Moulay Mohamed


TOLERANZ UND


NACHSICHT IM ISLAM


This book has been conceived, prepared and designed by the


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Im Namen Allahs


des Allerbanners, des Barmherzigen





Zu den Faktoren die geholfen haben, den Islam zu verbreiten und ihm


Anerkennung und Akzeptanz bei den Nichtmuslimen zu verschaffen,


gehören, dass er leicht zu verstehen ist, dass seine Lehre einfach ist


und seine Toleranz in den Beziehungen; und dass er der natürlichen


Veranlagung, mit der Gott den Menschen erschaffen hat, nicht widerspricht


und keinen Gegensatz zu ihr bildet; und sein klarer und deutlicher Ruf,


der natürlichen Veranlagung zu folgen und ihr nicht zuwider zu handeln.


Wie es Allah, Hocherhabene, im Qur´an deutlich erklärt:


(So richte dein Gesicht aufrichtig zur Religion hin als Anhänger des


rechten Glaubens, - (gemäß) der natürlichen Anlage Allahs, in der


Er die Menschen er schaffen hat. Keine Abänderung gibt es für die


Schöpfung Allahs. Das ist die richtige Religion. Aber die meisten


Menschen wissen nicht.) (Qur´an 30:30)


Vielleicht lässt sich das mit einem Beispiel verdeutlichen: und zwar


dem natürlichen Instinkt der Sexualität. Der Islam sieht ihn nicht als


schmutzig an und hat ihn nicht verboten, im Gegenteil er hat befohlen,


ihn zu realisieren, wie Allah, der Hocherhabene, sagt:


(Und verheiratet die noch ledigen (Männer und Frauen) unter euch


und die Rechtschaffenen von euren Sklaven und euren Sklavinnen.


Wenn sie arm sind, wird Allah sie durch Seine Huld reich machen.


Allah ist Allumfassend und Allwissend.) (Qur´an 24:32)


Und der Prophet (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen


schenken) hat ermutigt, die Initiative zu ergreifen und zu heiraten, um


dieses sexuelle Bedürfnis zu befriedigen, indem er sagte:


„O ihr Scharen der Jugendlichen, wer sich von euch die Führung


einer Familie leisten kann, der soll heiraten, denn das hilft, den


Blick zu senken und die Scham zu hüten. Und wer dies nicht kann,


der soll fasten. Dann ist dies für ihn ein Schutz.“


Aber er hat es nicht ohne Bedingungen und Begrenzungen erlaubt.


Vielmehr hat er Regeln aufgestellt und die richtige Art und Weise


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gezeigt, um dies zu erreichen und den Instinkt zu befriedigen. Dafür


hat er das Heiraten als richtigen Weg bestimmt, so dass mit der Heirat


die Ruhe erzielt wird, nach der sich jeder Mensch sehnt. Und infolge


dessen wächst diese Gnade, durch die das Zusammenleben in einer Ehe


erfolgreich wird und Nachkommen gezeugt werden; und das auf eine


legale Art und durch einen heiligen Bund, wie Allah, der Hocherhabene,


es im Qur´an erklärt:


(Und es gehört zu Seinen Zeichen, daß Er euch aus euch selbst


Gattinnen erschaffen hat, damit ihr bei ihnen Ruhe findet; und Er


hat Zuneigung und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt. Darin


sind wahrlich Zeichen für Leute, die nachdenken.) (Qur´an 30:21)


Und er hat jede andere Art außer dieser für verboten erklärt, wegen


dem, was daraus resultiert, wie die Verbreitung von Krankheiten, das


Abbrechen von Familienverbindungen, außereheliche Kinder mit


unruhigen Seelen und voller Hass auf ihre Gesellschaft. So sagt Allah,


der Hocherhabene, im Qur´an:


(Und nähert euch nicht der Unzucht. Gewiß, sie ist etwas


Abscheuliches - und wie böse ist der Weg.) (Qur´an 17:32)


Es muss dabei auch erwähnt werden, dass er die Ehe nicht für ewig


bestimmt hat, für den Fall, dass einer von beiden oder beide damit


nicht zurecht kommen. Dann hat er den beiden die Trennung erlaubt,


aber durch angemessene Anordnungen, die die Rechte von beiden


sichern und auf ihre Gefühle achtend, weil der Islam den Aufbau einer


glücklichen Familie zum Ziel hat, die selbst dann den Grundstein für die


erfolgreiche Gesellschaft bildet, wodurch der Einzelne sein weltliches


und religiöses Leben in Freiheit und Ruhe genießen kann, und so wird er


zu einem Menschen, der produktiv und förderlich ist für die Gesellschaft.


Und so ist es das gleiche Prinzip auch bei anderen veranlagten Dingen


beim Menschen. So hat der Islam die Dinge einfach gemacht und der


menschlichen Seele nicht mehr aufgeladen, als sie tragen kann.


Als dem Islam der Terrorismus immer häufiger vorgeworfen wurde und


ihm Eigenschaften nachgesagt wurden, die überhaupt nichts mit ihm zu tun


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haben, sondern einfach nur dafür bestimmt sind, vor ihm abzuschrecken,


vielleicht aus Angst vor der steigenden Zahl der Konvertierten, und als


immer mehr Vorwürfe und Zweifel hörbar wurden, die keinen Grund und


Boden haben, sondern lediglich Interpretationen eigener, persönlicher


Anschauungen, die islam- und muslimfeindlich sind, bat mich der Scheikh


Muhamed Seyfudin Abu Anas, Vorsitzender des Vereins „Einladung zum


Paradies e.V.“ in Deutschland, ein kurz gefasstes Buch zu schreiben, das


die Toleranz und die Nachsicht des Islam und im Islam darstellt. Es ist


ihm, nach Allah, dem Hocherhabenen, zu verdanken, dass dieses Buch


veröffentlicht wird.


Jedoch muss ich sagen, dass mein Erstaunen sehr groß war, als ich von


dieser Entwicklung der öffentlichen Meinung, speziell in Deutschland,


erfahren habe, weil ich, offen gesagt, die Deutschen als ein freundliches


Volk kennengelernt habe und je näher ich sie kennenlernte, desto


beeindruckter war ich von ihrer Freundlichkeit. Zu dieser Ansicht bin


ich aufgrund meiner Erfahrungen mit jenen Deutschen gelangt, die aus


geschäftlichen oder privaten Gründen in mein Land gekommen sind.


Und da das Volk so freundlich ist, habe ich automatisch den Schluss


gezogen, dass seine Regierung ebenfalls freundlich sein muss. Denn


ein freundliches Volk wählt auch nur eine freundliche Regierung. Auch


hat sich dies mir nach den zahlreichen gemäßigten Stellungnahmen der


deutschen Regierung zu vielen Geschehnissen auf internationaler Ebene


bestätigt. An dieser Stelle möchte ich dem deutschen Volk gratulieren für


diese vernünftige und freundliche Regierung. So gratuliere ich auch der


deutschen Regierung für dieses wunderbare Volk. Ich spreche für meine


eigene Person und kann sagen, dass ich Deutschland liebe und ihm Aufstieg


und Fortschritt wünsche. Und ich möchte Deutschland beruhigen, dass


hinter dem wahren Islam nur Liebe, Zuneigung und Frieden steckt, und


das ist, was sie in diesem Buch erkennen werden. Ich wünsche mir von


der Regierung und vom Volk, dass sie gründlich darüber nachdenken, den


wahren Islam zu akzeptieren, ihn zu fördern sowie den Menschen die


Möglichkeit geben, den Lebensweg zu gehen, den sie möchten, solange


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alles friedlich und im Rahmen der deutschen Verfassung verläuft. Das ist


meine Hoffnung. Denn durch das Akzeptieren des Islam werden sie ihre


Gesellschaft bereichern und viele Konflikte lösen können. Konflikte, die


aufgrund der modernen Zivilisation und der Verbreitung der Verderbnis,


des Ungehorsams, der Zerstörung von Familien etc., entstanden sind.


Und nicht nur das; sie werden auch ihre Wirtschaft verbessern, wenn sie


das islamische Wirtschaftssystem annehmen, das keine Finanzkrise oder


wirtschaftlich zerstörende Schwankungen, wie wir sie heutzutage erleben,


kennt. Es reicht als Beweis, dass viele nicht-islamische Nationen vorhaben,


das islamische Wirtschaftssystem zu übernehmen. Auch aus politischer


Sicht werden sie 1,57 Mrd. Muslime, die ein Viertel der Weltbevölkerung


ausmachen, für sich gewinnen. Sie werden dadurch besondere und


nützliche Bündnisse mit nicht weniger als 90% der islamischen Nationen


schließen können und zudem über eine stabile Sicherheit inner- und


außerhalb des Landes verfügen. Wir leugnen natürlich nicht, dass es


einige Muslime gibt, die durch ihre Handlungen dem Islam Böses angetan


haben, sei es nun absichtlich oder unbeabsichtigt. Jedoch ist es ungerecht,


dem Islam die Fehler und falschen Handlungen einiger seiner Anhänger,


die nicht dem wahren Islam folgen, anzuhängen.


Ich wiederhole es noch einmal, dass ich Deutschland und sein Volk liebe.


Und der Beweis für meine Liebe ist meine schnelle Reaktion auf die Bitte


des Scheikh Muhamed Seyfudin Ciftci. Ich gratuliere Deutschland dafür,


einen solchen Scheikh zu haben, der eine ausgeglichene Persönlichkeit


in seiner Dawa (Einladung zum Islam) ist. Zudem ist er klar und ehrlich


in seiner Orientierung und seinen Zielen.


Euer Dr. Abdurrahman ibn Abdulkarim Al-Sheha


EINFÜHRUNG


Der Islam ist die Religion, mit der Allah alle Propheten, seit Adam, (sas),


entsandt hat. Der Islam ist die Religion, die Allah für beide Welten, der


Menschen und der Djinn (Geister), auserwählt hat bis zum Tag der


Auferstehung. So sagt Allah, der Hocherhabene:


(Gewiss, die Religion ist bei Allah der Islam.) (Qur´an 3:19)


Der Islam lädt dazu ein, Allah alleine anzubeten und Ihm allein die


aufrichtige ‘Ibada (religiöse Anbetungshandlungen) ohne jegliche


Beigesellung anderer entgegenzubringen. Diese Einladung ist die aller


Gesandten und Propheten.


So sagt Allah, der Hocherhabene:


(Er hat euch von der Religion festgelegt, was Er Nuh anbefahl und


was Wir dir (als Offenbarung) eingegeben haben und was Wir


Ibrahim, Musa und `Isa anbefahlen: Haltet die (Vorschriften der)


Religion ein und spaltet euch nicht darin (in Gruppen).) (Qur´an 42:13)


Die Propheten vor Muhammad (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm


Wohlergehen schenken) wurden nur zu ihrer Stadt, ihrem Dorf oder ihrem


Stamm und für eine bestimmte Zeit entsandt. Wenn nun der entsandte


Prophet starb und nach einer langen Zeit die Entgleisungen von seinen


Gottesgesetzen (Scharia) durch Vielgötterei und die Entfernung von der


Umsetzung der Scharia und Ungerechtigkeit herrschte, entsandte Allah


einen anderen Propheten, um die alte Scharia und die Empfehlung zur


Anbetung Gottes alleine, ohne Ihm etwas beizugesellen, zu erneuern. So


sagt Allah, der Hocherhabene:


(Und Wir haben ja bereits in jeder Gemeinschaft einen Gesandten


erweckt: „Dient Allah und meidet die falschen Götter.) (Qur´an 16:36)


Und so war schließlich der letzte dieser Propheten und Gesandten


Muhammad (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen


TOLERANZ UND NACHSICHT IM ISLAM 12


schenken). Allah hat ihn entsandt, damit er das Siegel aller Propheten


und Gesandten wird, und damit seine Scharia die letzte aller


vorangegangenen Scharia’s wird. Auch damit seine Scharia für die


gesamte Welt gilt. Für die Menschen und die Djinn, für die Weißen


und Schwarzen, für die Araber und Nichtaraber, für alle gleich. So sagt


Allah, der Hocherhabene:


(Und Wir haben dich für die Menschen allesamt nur als Frohboten


und Warner gesandt.) (Qur´an 34:28)


Deshalb war es wichtig und unerlässlich, dass diese Botschaft und diese


Scharia bestimmte Eigenschaften aufweist, die vorige Scharia’s nicht


besaßen. Sie muss fähig sein, sich den gesellschaftlichen Fortschritten


anzupassen. Sie muss ebenfalls alle Menschen ansprechen, unabhängig


von ihrer Herkunft und Abstammung. Deswegen ist eine der Eigenschaften


dieser Religion, dass sie universell ist, und dass eine Barmherzigkeit für


die Menschheit darin liegt. So sagt Allah, Erhaben ist Er:


(Und Wir haben dich nur als Barmherzigkeit für die Weltenbewohner


gesandt.) (Qur´an 21:107)


Sie muss auch hinsichtlich der Bestimmungen vollkommen und


allumfassend sein, um das Leben des Einzelnen, der Gemeinschaft


und die Beziehungen mit anderen Gemeinschaften zu regeln, um


so ihre Stetigkeit und ihren Fortbestand zu sichern, die Allah für sie


vorgesehen hat und damit diese Scharia auch für alle Zeiten, Epochen


und Orte, bis zum Jüngsten Tag, gültig bleiben kann. So sagt Allah, der


Hocherhabene:


(...Heute habe Ich euch eure Religion vervollkommnet und Meine


Gunst an euch vollendet, und Ich bin mit dem Islam als Religion


für euch zufrieden.) (Qur´an 5:3)


Und da die Einfachheit, Toleranz und Nachsicht wichtige Punkte sind,


damit der Mensch sich zu einer Scharia bekennt, gehören diese auch zu


den besonders betonten Eigenschaften der islamischen Scharia. Diese


Toleranz und Nachsicht zeigt sich in der Einfachheit ihrer Regeln und in


der Leichtigkeit ihrer religiösen Riten. Ein weiteres Charakteristikum


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ist die Weite und Einfachheit, die diese Summe von Regeln mit sich


bringen, damit es allen, zu jeder Zeit und an jedem Ort möglich ist, sie


im Rahmen ihrer Möglichkeiten umzusetzen und nach ihnen zu leben,


so, wie Allah und Sein Prophet es befohlen haben. Dabei stützt sich die


Art und Weise auf den Vers, in dem Allah, der Hocherhabene, sagt:


(Allah erlegt keiner Seele mehr auf, als sie zu leisten vermag.) (Qur´an 2:286)


Und der Prophet (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen


schenken) sagte:


„Lasset meine Befragung sein, solange ich eure Handlungen


billige; denn diejenigen, die vor euch waren, gingen durch ihre


(überflüssigen) Fragen und Meinungsverschiedenheiten mit ihren


Propheten zugrunde. Wenn ich euch etwas verbiete, dann meidet es


und von dem, was ich euch aufgetragen habe, führt aus, so viel ihr


vermöget.“ (Buchari)


Die Toleranz und Nachsicht im Islam sind eine unerlässliche Säule, auf


der sich die islamische Scharia stützt. Angefangen bei der bedeutendsten


Sache der Religion, nämlich dem Glaubensbekenntnis, bis zu den


kleinsten Angelegenheiten. Ohne Eigensinn und ohne eine Strenge, die


das Erlaubte verbietet und ohne eine Leichtsinnigkeit, die das Verbotene


erlaubt. Denn diese Scharia wurde für die Menschen offenbart, die


Mängel haben, Gefühlen und Emotionen ausgesetzt sind und über eine


begrenzte Kraft verfügen. So nimmt die islamische Scharia Rücksicht


auf diese Emotionen, Gefühle und Kräfte, weil es die Religion der Fitra


(natürliche Veranlagung) ist. Sie greift diese Fitra nicht an, sondern


passt sich dieser an und begleitet sie. Sie bietet allen die Möglichkeit,


die religiösen Riten zu befolgen, je nach Fähigkeit und Situation des


Einzelnen. So sagt Allah, der Hocherhabene:


(… und euch in der Religion keine Bedrängnis auferlegt.) (Qur´an 22:78).


Die Regeln der islamischen Scharia sind erfüllt mit Nachsicht und


Toleranz und geprägt von Einfachheit sowie der Aufhebung von


Bedrängnis und Vermeidung von Schwierigkeiten für ihre Anhänger.


Deswegen ist sie beliebt bei allen Individuen der islamischen


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Gesellschaft, trotz der Vielfältigkeit ihrer Ebenen und der Unterschiede


ihrer Gedanken. Sie genießen das Praktizieren dieser Scharia. Die


gerechten Nicht-Muslime bestätigen dies. Denn die islamische Scharia


berücksichtigt den Reichen und Armen, den Gesunden und den Kranken,


den Großen und den Kleinen, Männer wie Frauen. Sie berücksichtigt


auch den Herrscher und das Volk und nimmt Rücksicht auf den Ort und


die Zeit. Von Beginn an kannte die gesamte Menschheit keine andere


Religion, die solche umfassenden Prinzipien besitzt und die angepasst


ist an die Natur des Menschen, den Allah schwach erschuf. So sagt


Allah, der Hocherhabene:


(Allah will es euch leicht machen, denn der Mensch ist (ja) schwach


erschaffen.) (Qur´an 4:28)


Die Toleranz und Nachsicht des Islam und seine Einfachheit in der


Aufhebung der Bedrängnis und der Strenge, ist nicht nur auf seine


Anhänger beschränkt. So hatten die Anhänger anderer Religionen, die


der Bedrängnis und der Härte ausgesetzt waren, durch die Erscheinung


des Islam viel Gutes und Erleichterung erfahren. Der Islam entlastete sie


in vielerlei Hinsicht. So sagt Allah, der Hocherhabene:


(die dem Gesandten, dem schriftunkundigen Propheten, folgen, den


sie bei sich in der Thora und im Evangelium aufgeschrieben finden.


Er gebietet ihnen das Rechte und verbietet ihnen das Verwerfliche,


er erlaubt ihnen die guten Dinge und verbietet ihnen die schlechten,


und er nimmt ihnen ihre Bürde und die Fesseln ab, die auf ihnen


lagen. Diejenigen nun, die an ihn glauben, ihm beistehen, ihm helfen


und dem Licht, das mit ihm herab gesandt worden ist, folgen, das


sind diejenigen, denen es wohl ergeht.) (Qur´an 7:157)


Zur Toleranz und Nachsicht des Islam gehört die Legitimation des sog.


Ijtihad (Bemühen), den der Prophet (möge Allah ihn in Ehren halten und


ihm Wohlergehen schenken) konkludent erlaubt hat, als er Mu’adh zum


Jemen schickte. Er fragte ihn:


„Wie urteilst du, wenn du einer Klage begegnest?“ Er sagte: „Ich


urteile nach dem Qur’an.“ Er fragte ihn: „Was ist, wenn du darin


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nichts findest?“ Er sagte: „Dann urteile ich nach der Sunna des


Propheten (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen


schenken).“ Er fragte ihn weiterhin: „Und wenn du darin nichts


findest?“ Er sagte: „Ich bemühe mich in meiner Meinung, bis ich zu


einer Lösung komme.“ Er schlug auf seine Brust und sagte: „Alles


Lob gebührt Allah, Der den Gesandten des Gesandten Gottes zu dem,


was Allah und Seinen Propheten zufrieden stellen, verholfen hat.“


Daher ist diese Religion fähig, sich zu entwickeln, gültig und passend für


jede Zeit und jeden Ort. Denn der Islam brachte allgemeine Prinzipien


und Fundamente, feste, umfassende und vollständige Grundsätze, die


sich nicht mit der Zeit und dem Ort ändern. Zu diesen Fundamenten


gehören das Bekenntnis und die religiösen Riten, wie der Glaube


(Iman), die Gebete (ihre Anzahl und ihre Zeiten), die Almosen - soziale


Pflichtabgabe - (ihre Beträge und wann sie zu geben sind), das Fasten


und seine Zeit, die Pilgerfahrt mit ihrer Verrichtungsweise und ihrer Zeit


und die Hudud (Bestrafungen), etc.


Ganz gleich, welche Dinge sich mit der Zeit ergeben und neu erscheinen,


sie werden dem Qur’an vorgestellt. Wenn darin eine Regelung für diese


Sache gefunden wird, dann folgt man dieser und lässt alles andere


beiseite. Findet man nichts darin, so geht man zur Sunna des Propheten


(Möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken)


über und sucht dort nach Regelungen in den über ihn authentisch und


zuverlässig überlieferten Aussagen. Findet man hier etwas, so nimmt


man dies, andernfalls geht man zum den Ijtihad über. Da haben die


frommen und aufrichtigen Gelehrten zu forschen und zu überprüfen,


um zu einem Ergebnis zu kommen, welches das Interesse und das Wohl


der Allgemeinheit verwirklicht sowie den Belangen ihrer Zeitepoche


und ihrer gesellschaftlichen Situation entspricht. Das erfolgt durch


das Überprüfen dessen, was der Qur’an und die Sunna wahrscheinlich


zulassen. Diese neuen Dinge werden anhand der schariakonformen,


allgemeinen Grundsätze, die aus dem Qur’an und der Sunna entnommen


wurden, überprüft. Folgende Grundsätze als Beispiel: (Grundsätzliche


TOLERANZ UND NACHSICHT IM ISLAM 16


Legitimation in allen Angelegenheiten), (Wahrung der Interessen),


(Einfachheit und das Meiden von Bedrängnis), (Beseitigung des


Nachteils), (Not rechtfertigt das Verbotene), (Notlagen werden einzeln


beurteilt und abgeschätzt), (das Beseitigen des Nachteils hat den Vorrang


gegenüber der Herbeiführung von Nutzen), (Ausführung der weniger


nachteiligen Handlung), (Nachteil wird nicht mit Nachteil aufgehoben),


(das Ertragen des persönlichen Nachteils, um den allgemeinen Nachteil


abzuwehren), etc.


Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass der Ijtihad nicht so verstanden


werden darf, dass man der eigenen Laune folgen und nach eigenen


Vorstellungen urteilen soll. Vielmehr geht es um das Erreichen von


Ergebnissen, die den Menschen Gutes und Nützliches bringen, ohne


dabei den religiösen Texten zu widersprechen. Das ist so, damit der


Islam jedem Zeitalter angepasst ist und den Belangen jeder Gesellschaft


in jeder Epoche angeglichen wird. Diese Worte sind nicht einfach so


daher gesagt. Denn wer die qur‘anischen Texte und die Aussprüche


des Propheten (Möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen


schenken) verfolgt, sieht, dass der Islam zur Toleranz, Nachsicht und


Einfachheit einlädt und dazu anhält.


DER ISLAM UND DER DISKURS DER


TOLERANZ UND NACHSICHT:


Über die Toleranz und Nachsicht des Islam zu sprechen ist nichts


spezielles oder partielles, sondern etwas, was den gesamten Islam


umfasst und anspricht, weil die Toleranz und Nachsicht in jeder Facette


des Islam integriert ist. Wie kann es auch anders sein, wo doch der Prophet


(möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) sagte:


„Die beste Art und Weise eures Glaubens ist die einfachste.“


Auch sagte er (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen


schenken):


„Die beliebte Art der Religion bei Allah ist die des rechten Glaubens


und der Gnade.“ (Buchari)


Der Islam ist somit ein vollkommener und umfassender Diskurs. Der


Islam ist die Religion der Mitte, wie Allah, der Hocherhabene, sagt:


(Und so haben Wir euch zu einer Gemeinschaft der Mitte gemacht,


damit ihr Zeugen über die (anderen) Menschen seiet und damit der


Gesandte über euch Zeuge sei.) (Qur´an 2:143)


Der Islam ist eine Religion der Toleranz und Nachsicht im Bereich


der Politik und der auswärtigen Beziehungen, so sagt Allah, der


Hocherhabene:


(Allah verbietet euch nicht, gegenüber denjenigen, die nicht gegen


euch der Religion wegen gekämpft und euch nicht aus euren


Wohnstätten vertrieben haben, gütig zu sein und sie gerecht zu


behandeln. Gewiss, Allah liebt die Gerechten.) (Qur´an 60:80)


Auch ist er eine Religion der Toleranz und Nachsicht im Bereich der


Gesellschaft, so sagt Allah, der Hocherhabene:


(O ihr Menschen, Wir haben euch ja von einem männlichen


und einem weiblichen Wesen erschaffen, und Wir haben


TOLERANZ UND NACHSICHT IM ISLAM 18


euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander


kennenlernt. Gewiss, der Geehrteste von euch bei Allah ist der


Gottesfürchtigste von euch. Gewiss, Allah ist Allwissend und


Allkundig.) (Qur´an 94:13)


Auch im Bereich des Benehmens und des Charakters ist der


Islam eine Religion der Toleranz und Nachsicht, so sagt Allah, der


Hocherhabene:


(Nimm den Überschuss, gebiete das allgemein Gute und wende


dich von den Toren ab!) (Qur´an 7:199)


Im Bereich der religiösen Verrichtungen zeigt sich diese Toleranz


ebenfalls. So sagt Allah, der Hocherhabene: (Diejenigen aber, die


glauben und rechtschaffene Werke tun – Wir erlegen keiner


Seele mehr auf, als sie zu leisten vermag –, jene sind Insassen des


(Paradies)gartens. Ewig werden sie darin bleiben.) (Qur´an 7:42)


Und so verhält es sich auch im Bereich der Wirtschaft. So sagt Allah,


der Hocherhabene:


(Diejenigen, die Zins verschlingen, werden nicht anders


aufstehen als jemand, den der Satan durch Wahnsinn hin und


her schlägt. Dies (wird sein), weil sie sagten: „Verkaufen ist das


gleiche wie Zinsnehmen.“ Doch hat Allah Verkaufen erlaubt


und Zinsnehmen verboten. Zu wem nun eine Ermahnung von


seinem Herrn kommt, und der dann aufhört, dem soll gehören,


was vergangen ist, und seine Angelegenheit steht bei Allah. Wer


aber rückfällig wird, jene sind Insassen des (Höllen)feuers. Ewig


werden sie darin bleiben.) (Qur´an 2:275)


Der Islam ist auch eine Religion der Toleranz und Nachsicht im


Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen. So sagt Allah, der


Hocherhabene:


(Die in Freude und Leid ausgeben und ihren Grimm zurückhalten


und den Menschen verzeihen. Und Allah liebt die Gutes Tuenden.)


(Qur´an 3:134)


19 DR.ABDUR RAHMÁN AL-SHEHA


So ist es ebenfalls im Bereich der Erziehung und Bildung. So sagte


der Prophet (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen


schenken):


„Vereinfacht und erschwert nicht, und verkündet die gute


Nachricht und schreckt nicht ab.“ (ibn Hibban)


Die islamischen religiösen Texte waren ein Anlass, den Diskurs der


Toleranz, der Nachsicht und der Einfachheit durch die Nachlegung seiner


praktischen Umsetzung in der islamischen Gesellschaft zu verankern:


Auf der Ebene des Einzelnen, durch den Ausspruch des Propheten (möge


Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken):


„Seid nachsichtig, so ist Allah mit euch nachsichtig.“ (von Ahmad


überliefert)


und auf der Ebene der Gemeinschaft, anhand des Ausspruchs des


Propheten (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen


schenken):


„Allah liebt die Güte in jeder Angelegenheit.“ (Buchari)


Der Prophet hat sogar für denjenigen, der gütig mit seiner Umma


umgeht und sie milde behandelt und sie dabei mit Einfachheit führt, ein


Bittgebet gesprochen, in dem es heißt:


„O Allah, wer die Führung dieser Umma übernimmt und es ihr


schwer macht, erschwere es ihm, und wer die Führung dieser Umma


übernimmt und gütig, milde und nachsichtig mit ihr umgeht, geh


gütig, milde und nachsichtig mit ihm um.“ (von Muslim überliefert).


Der Islam hat die Toleranz und Nachsicht zu den Dingen zählen


lassen, die zum Paradies führen und von der Hölle abwenden, so sagte


der Prophet (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen


schenken):


„Wer unkompliziert, sanft und nah ist, den hält Allah von der Hölle fern.“


Aber man muss wissen, dass Toleranz, Nachsicht und Einfachheit speziell


für die religiösen Verrichtungen gelten und nicht für die Lehren der


Scharia und der Religion. So kann nichts Verbotenes für erlaubt erklärt


TOLERANZ UND NACHSICHT IM ISLAM 20


werden und nichts Erlaubtes für verboten. Auch darf das Praktizieren


seiner Richtlinien und Regeln nicht vernachlässigt werden oder etwa


den islamischen Auffassungen und allgemeinen Sitten schaden. Es sind


die Toleranz, die Nachsicht und die Einfachheit, die fern sind von Härte


und Schwere und auch fern von Frevel und Sünde. Geregelt ist dies in


dem Ausspruch des Propheten, den ’Aischa (möge Allah Wohlgefallen


an ihr haben) die Ehefrau des Propheten berichtete:


„Wenn dem Propheten (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm


Wohlergehen schenken) zwei Dinge angeboten wurden, so wählte er


die einfachere Sache, solange es sich nicht um eine Sünde handelte.


War es eine Sünde, dann war er am entferntesten davon.“


Natürlich sind die Ausnahmen davon ausgeschlossen, denn diese haben


ihre speziellen Regelungen.


Im Folgenden werden wir weitere Facetten der Toleranz und Nachsicht


behandeln:


DIE TOLERANZ UND NACHSICHT IM BEREICH DER AQIDA:


Die Aqida (Gesamtheit der zu verinnerlichenden Inhalte des Islam)


im Islam ist das Fundament und die Grundlage, worauf die Religion


aufbaut, bei der es keine Kompromisse oder Verhandlungen gibt. Denn


ohne Aqida gibt es auch keine Religion.


Deshalb sagt uns Allah, der Hocherhabene, im Qur’an:


(Allah vergibt gewiss nicht, dass man Ihm (etwas) beigesellt. Doch


was außer diesem ist, vergibt Er, wem Er will.) (Qur´an 4:84)


Zu den Seiten der Toleranz und Nachsicht des Islam im Bereich der


Aqida gehören:


Die Aqida ist klar und nicht etwa undeutlich oder verworren. Es ist


einfach, so dass der Unwissende es vor dem Wissenden versteht und


der kleine vor dem großen. Daher ist es nicht notwendig, zu einer


bestimmten Gruppe zu gehören, um die Aqida zu kennen und zu


verstehen. Diese Aqida unterschätzt nicht den menschlichen Verstand,


sodass es ihn etwa dazu veranlassen würde, Steine, Bäume oder Tiere


21 DR.ABDUR RAHMÁN AL-SHEHA


anzubeten. Vielmehr ruft es zum Glauben an den einen einzigen Gott


auf; Ihn alleine, ohne jegliches Beigesellen und ohne jegliche Vermittler


anzubeten. Die Aqida ist so einfach, dass es sogar der unwissende Beduine


in der Wüste verstanden hat, als er gefragt wurde: „Wie hast du deinen


Gott erkannt?“ Da sagte er instinktiv: „Der Dung deutet auf das Vieh und


die Fußspuren auf den Gehenden. Deutet etwa die Nacht und der Tag, die


Erde und der Himmel nicht auf den Allmächtigen, den Allwissenden?“


Auch wusste es die Magd mit ihren Schafen. Mu’awiya ibn al-Hakam


al-Sulami sagt: „Ich hatte eine Zahl von Schafen, die meine Magd hütet.


Eines Tages entdeckte ich, dass ein Wolf eines der Schafe gefressen hatte.


Aus meiner Wut heraus versetzte ich ihr einen schweren Schlag, den ich


danach bereute und es tat mir sehr leid. Daraufhin ging ich zum Propheten


(möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) und


fragte: „Soll ich sie freilassen?“ Da sagte der Prophet:


„Bring sie zu mir!“ Als sie kam, fragte sie der Prophet: „Wo ist


Allah?“ Sie antwortete: „Im Himmel.“ Da fragte sie der Prophet


weiter: „Wer bin ich?“ Sie sagte: „Du bist der Gesandte Gottes.“.


Daraufhin sagte der Prophet zu Mu’awiya: „Lass sie frei! Sie ist


eine Gläubige.“


Auch gehört zur Toleranz und Nachsicht des Islam im Bereich


der Aqida, dass er seinen Anhängern auferlegt hat, an alle


vorangegangenen Gesandten und Bücher, die offenbart wurden, zu


glauben. So sagt Allah, der Hocherhabene:


(Der Gesandte (Allahs) glaubt an das, was zu ihm von seinem


Herrn (als Offenbarung) herab gesandt worden ist, und ebenso


die Gläubigen; alle glauben an Allah, Seine Engel, Seine Bücher


und Seine Gesandten – Wir machen keinen Unterschied bei


jemandem von Seinen Gesandten. Und sie sagen: „Wir hören


und gehorchen. (Gewähre uns) Deine Vergebung, unser Herr!


Und zu Dir ist der Ausgang.) (Qur´an 2:285)


Zur Toleranz und Nachsicht des Islam im Bereich der Aqida gehört,


dass niemand mit Gewalt gezwungen oder genötigt wird, ohne


TOLERANZ UND NACHSICHT IM ISLAM 22


eigenen Willen oder Überzeugung, den Islam anzunehmen. So sagt


Allah, der Hocherhabene:


(Es gibt keinen Zwang im Glauben. (Der Weg der) Besonnenheit


ist nunmehr klar unterschieden von (dem der) Verirrung. Wer


also falsche Götter verleugnet, jedoch an Allah glaubt, der hält


sich an der festesten Handhabe, bei der es kein Zerreißen gibt.


Und Allah ist Allhörend und Allwissend.) (Qur`an 2:256)


Denn in den islamischen Quellen steht, dass die Unstimmigkeiten


über die Religionen zwischen den Menschen Tatsachen sind, die dem


Willen Allahs entsprechen. Deshalb gehört es nicht zu den Regeln


des Islam, die Menschen dazu zu zwingen, Muslime zu werden. So


sagt Allah, der Hocherhabene:


(Und wenn dein Herr wollte, würden fürwahr alle auf der Erde


zusammen gläubig werden. Willst du etwa die Menschen dazu


zwingen, gläubig zu werden?) (Qur`an 10:99)


So steht es demjenigen, dem der Islam erklärt wurde, frei zu


entscheiden, ihn anzunehmen oder abzulehnen. So sagt Allah, der


Hocherhabene:


(Und sag: (Es ist) die Wahrheit von eurem Herrn. Wer nun


will, der soll glauben, und wer will, der soll ungläubig sein.


Gewiss, Wir haben den Ungerechten ein Feuer bereitet, dessen


Zeltdecke sie umfangen hält. Und wenn sie um Hilfe rufen,


wird ihnen mit Wasser wie geschmolzenem Erz geholfen, das


die Gesichter versengt – ein schlimmes Getränk und ein böser


Rastplatz.) (Qur`an 18:29)


Zur Toleranz und Nachsicht des Islams gehört im Bereich der Aqida


auch, dass nach den sichtbaren Taten und Aussagen geurteilt wird


und nicht nach den verborgenen Absichten und Zielen. Deswegen


kann niemand nach seinen verborgenen Absichten zur Rechenschaft


gezogen werden, weil diese verborgenen Dinge eine Angelegenheit


zwischen dem Menschen und seinem Gott sind, über die kein


Mensch etwas wissen kann. Deshalb reagierte der Prophet streng,


23 DR.ABDUR RAHMÁN AL-SHEHA


wenn jemand über die Menschen gemäß ihren Absichten urteilte. So


wünschte sich einer der Gefährten, dass er den Islam nicht vor seiner


Tat angenommen hätte. Osama ibn Zaid (möge Allah Wohlgefallen


an ihm haben) sagte:


„Der Prophet (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm


Wohlergehen schenken) entsandte uns in eine Brigade. Wir


wachten auf, und ich sah einen Mann. Er sagte: „La ilaha illa


Allah (Es gibt keinen Gott außer dem einen Gott)“, und ich habe


ihn erstochen. Dies lastete mir schwer auf dem Herzen und ich


ging zum Propheten (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm


Wohlergehen schenken) und berichtete ihm von dem Vorfall.


Er fragte: „Er hat „la ilaha illa Allah“ gesagt und du hast ihn


getötet?“ Ich sagte: „O Prophet, er hat es bloß aus Angst vor


dem Tod gesagt.“ Da fragte der Prophet: „Hast du in sein Herz


geschaut, damit du weißt, ob er es (aus Angst) sagte oder nicht?“


Und er wiederholte es so oft, bis ich mir wünschte, dass ich erst


an diesem Tag den Islam angenommen hätte.“


Die Beurteilung des Menschen vollzieht sich also nach dem Äußeren,


den Taten. So berichtet abu Sa’id al-Khudri: „Ali ibn abu Talib


sendete dem Propheten (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm


Wohlergehen schenken) aus dem Jemen Golderz in gegerbtem Leder.


Er sagte: „Er teilte es unter vier Leuten auf; ‘Uyainata ibn Hisn und


al-Aqra‘ ibn Habis und Zaid al-Khail und der vierte ist entweder


‘Alqama ibn ‘Ulatha oder ‘Amer bin at-Tufail. So sagte einer seiner


Gefährten: „Es wäre vorteilafter, uns dies zu geben anstatt ihnen. Als


der Prophet (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen


schenken) dies mitbekommen hatte, fragte er:


„Vertraut ihr mir nicht? Der im Himmel vertraut mir. Mir


kommen die Mitteilungen des Himmels morgens und abends.“


Da stand ein Mann auf und sagte: „O Prophet, fürchte Allah.“


Da sagte der Prophet: „Wehe dir! Bin ich nicht derjenige, der


Allah mehr fürchtet als alle anderen Menschen?“ Der Mann


TOLERANZ UND NACHSICHT IM ISLAM 24


ging. Da fragte Khalid ibn al-Walid: „O Prophet, soll ich ihn


umbringen?“ Der Prophet antwortete: „Nein, vielleicht betet


er.“ Khalid fragte daraufhin: „Wie viele sind es, die mit ihrem


Mund etwas anderes sagen, als das, was sich in ihren Herzen


befindet?“ Da sagte der Prophet: „Es wurde mir nicht befohlen,


in die Herzen der Menschen zu schauen.“ Dann schaute er ihn


an und sagte: „Es wird unter meinen Nachkommen Menschen


geben, die den Qur’an rezitieren, wobei ihre Rezitation ihre


Zungen nicht übertritt, sie treten aus der Religion aus, wie ein


Pfeil aus seiner Beute.“


Zur Toleranz und Nachsicht des Islam im Bereich der Aqida gehört


auch, dass es nicht bedenklich ist, wenn der Muslim auf einige


seiner religiösen Gebote bzw. Pflichten verzichtet, um aus seiner


misslichen Lage, unter der er leidet, zu entkommen. So sagt Allah,


der Hocherhabene:


(Wer Allah verleugnet, nachdem er den Glauben (angenommen)


hatte – außer demjenigen, der gezwungen wird, während sein


Herz im Glauben Ruhe gefunden hat –, doch wer aber seine


Brust dem Unglauben auftut, über diejenigen kommt Zorn von


Allah, und für sie wird es gewaltige Strafe geben.) (Qur`an 16:106)


Und dies ist so, damit der Muslim nicht in seelische Bedrängnis gerät


infolge des Druckes, den er von seinen Widersachern erfährt. So


geschah es auch mit ‘Ammar ibn Yasir (möge Allah Wohlgefallen an


ihm haben), als ihn die Ungläubigen festhielten und ihn gequält und


gefoltert haben und nicht eher von ihm abgelassen haben, bis er den


Propheten (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen


schenken) beschimpfte und über ihre Götzen gut sprach. Erst dann


ließen sie ihn laufen. Als er zum Propheten (möge Allah ihn in Ehren


halten und ihm Wohlergehen schenken) ging, fragte ihn der Prophet:


„Was ist denn los mit dir?“ Er sagte: „Schlimmes, o Prophet! Sie


haben mich nicht eher freigelassen, bis ich Schlechtes über dich und


Gutes über ihre Götzen sagte.“ Der Prophet fragte ihn: „Wie ist


25 DR.ABDUR RAHMÁN AL-SHEHA


dein Herz?“ Er sagte: „Mein Herz findet Ruhe im Glauben.“ Da


sagte der Prophet: „Wenn sie es nochmal tun, dann tue es nochmal.“


So verhält es sich, wenn dem Muslim körperliches Leid zugefügt


wird, wie es Bilal (möge Allah Wohlgefallen an ihm haben)


widerfahren ist. So berichtet Abdullah ibn Mas’ud:


„Die ersten, die ihren Islam kundtaten, waren sieben: Der Prophet


(möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken)


Abu Bakr, ‘Ammar und seine Mutter, Sumaya, Suhaib, Bilal und al-


Miqdad. Den Propheten (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm


Wohlergehen schenken) hat Allah durch seinen Onkel Abu Talib


beschützt, und Abu Bakr hat Allah durch seinen Stamm beschützt.


Die übrigen wurden von den Ungläubigen festgenommen und


regelrecht gefoltert und gequält, bis sie aussprachen, was von


ihnen verlangt wurde. Außer Bilal, der sich selbst, Allahs wegen,


gleichgültig war, und seinem Stamm gleichgültig war. Sie nahmen


ihn und überließen ihn den Kleinen, die ihn in den Straßen Mekkas


hin und her schleppten und er sagte dabei: Ahad, Ahad (Einer, Einer).


Zur Toleranz und Nachsicht der Religion im Bereich der Aqida


gehört auch, dass der Islam die menschliche Seele von der Anbetung


anderer, außer Allah, befreit hat. Dies erfolgte durch die Verankerung


des Iman in der Seele des Muslims, dass er keine Angst zu haben


braucht, außer vor Allah und dass es keinen außer Allah gibt, der


Nutzen oder Schaden bringen kann. So sagt Allah, der Hocherhabene:


(Und sie haben sich außer Ihm Götter genommen, die nichts


erschaffen, während sie (selbst) erschaffen werden, und die sich


selbst weder Schaden noch Nutzen zu bringen vermögen und


die weder über Tod noch über Leben noch über Auferstehung


verfügen.) (Qur`an 25:3)


Somit liegt alles in den Händen Gottes und niemand, wer er auch sein


mag, kann nutzen oder schaden, geben oder nehmen, außer mit dem


Willen Allahs und nur das, was Er vorgeschrieben hat. So sagt Allah,


der Hocherhabene:



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