Die Toleranz des Propheten gegenüber anderen
Religionen (teil 1 von 2): Jedem seine eigene Religion
Die Umgangsweise des Propheten mit anderen Religionen kann am besten
mit dem Vers aus dem Qur´an beschrieben werden:
“Ihr habt eure Religion, und ich habe meine Religion.”
Die Arabische Halbinsel war in der Zeit des Propheten eine Region, in der
es Menschen völlig unterschiedlichen Glaubens gab. Es gab Christen, Juden,
Zoroastrier, Götzendiener und noch andere, die mit gar keiner Religion in
Verbindung standen. Wenn man das Leben des Propheten betrachtet, findet
man zahlreiche Beispiele, die den hohen Grad der Toleranz zeigen, die er
Andersgläubigen gegenüber gezeigt hat.
Um diese Toleranz zu verstehen und zu beurteilen, muss man die
Zeitspanne betrachten, in der der Islam ein formaler Staat war, mit den
besonderen Gesetzen, die der Prophet im Einklang mit den Lehren der Religion
festgelegt hat. Obwohl man auch viele Beispiele für die Toleranz, die der
Prophet in den dreizehn Jahren seines Aufenthalts in Mekka zeigte, finden
kann, könnte man unrichtigerweise auf den Gedanken kommen, dass dies nur
geschah, um das Ansehen der Muslime und den gesellschaftlichen Status des
Islam allgemein zu heben. Aus diesem Grund beschränkt sich diese Diskussion
auf die Zeitspanne, die mit der Auswanderung des Propheten nach Medina
begann und zu der die Gründung des Staats geschah.
Die Sahiefah
Das beste Beispiel für die Toleranz, die der Prophet gegenüber anderen
Religionen zeigte, ist möglicherweise die Konstitution selbst, die von den
frühen Historikern ´Sahiefah´genannt wurde.[1] Als der Prophet nach Medina
auswanderte, endete seine Rolle als bloßer religiöser Führer; er war jetzt
politischer Führer eines Staates, regiert nach den Richtlinien des Islam, die
verlangten, dass klare Gesetze für die Regierung festgelegt wurden, um
Harmonie und Stabilität in einer Gesellschaft zu sichern, die zuvor durch
Jahrzehnte lange Kämpfe verwirrt gewesen war, solche Gesetze, die ein
friedliches Miteinander von Muslimen, Juden, Christen und Götzendienern
garanierten. Aus diesem Grunde legte der Prophet eine ´Konstitution´ fest, in
der die Verantwortlichkeiten aller Gruppen, die in Medina weilten, deren
Verpflichtungen untereinander und bestimmte Einschränkungen, die jeder
auferlegt wurden, enthielt. Alle Gruppen mußten dem gehorchen, was darin
festgelegt wurde, und jeglicher Bruch von Gesetzen wurde als Verrat
betrachtet.
Eine Nation
Der erste Artikel der Verfassung besagte, dass alle Bewohner Medinas, die
Muslime ebenso wie diejenigen von den Juden, Christen und Götzendienern,
die den Pakt eingegangen waren, "eine Nation unter Ausschluß aller
anderen"bildeten. Alle wurden als Bewohner und Mitglieder der Gesellschaft
Medinas betrachtet, ungeachtet ihrer Religion, Rasse oder Abstammung.
Menschen anderen Glaubens wurden vor Schaden genauso beschützt wie die
Muslime, wie ein anderer Artikel vorschreibt: "den Juden, die uns folgen,
steht Hilfe und Gleichheit zu. Keinem soll Schaden zugefügt werden, noch
soll seinen Widersachern geholfen werden". Zuvor hatte jeder Stamm seine
eigenen Bündnisse und Feinde innerhalb und außerhalb Medinas gehabt. Der
Prophet sammelte diese unterschiedlichen Stämme unter einem System der
Regierung, das die früheren Bündnisse zwischen jenen einzelnen Stämmen
aufrecht erhielt. Alle Stämme mußten als ein Ganzes handeln, ohne die
individuellen Bündnisse zu beachten. Jeder Angriff auf eine andere Religion
oder einen anderen Stamm wurde als Angriff auf den Staat betrachtet und
ebenfalls auf die Muslime.
Die Leben der Andersgläubigen in der muslimischen Gesellschaft wurden
auch geschützt. Der Prophet sagte:
“Wer einen Menschen tötet, der einen Pakt mit den Muslimen geschlossen
hat, wird nie den Duft des Paradieses riechen.” (Sahieh Muslim)
Da die Muslime die Oberhand besaßen, warnte der Prophet entschieden
davor, Menschen anderen Glaubens schlecht zu behandeln. Er sagte:
“Seid gewarnt! Wer grausam und hart zu einer nicht-muslimischen
Minderheit ist; oder ihre Rechte beschneidet; oder ihnen mehr aufbürdet,
als sie ertragen können; über den werde ich (Prophet Muhammad) mich am
Tag des Gerichts beklagen.” (Abu Dawud)
Jedem seine eigene Religion
In einem anderen Artikel heißt es: "die Juden haben ihre Religion und
die Muslime haben ihre." Hier wird klar, dass nichts anderes als Toleranz
geduldet wird und dass, obgleich sie alle Mitglieder einer Gesellschaft waren,
jeder seine eigene Religion hatte, die nicht beleidigt werden durfte. Jedem war
erlaubt, seinen Glauben frei ohne irgendwelche Behinderungen auszuüben und
ohne dass irgendwelche provokativen Handlungen geduldet wurden.
Es gibt noch viele anderen Artikel in dieser Konstitution, über die wir
diskutieren könnten, aber besonderer Nachdruck wird auf den einen Artikel
gelegt, der besagt: "Wenn irgendein Streit oder irgendeine
Meinungsverschiedenheit auftaucht, die Unruhe verursacht, muss (die
Angelegeneit) vor Gott und seinen Gesandten gebracht werden." Diese
Klausel beinhaltet, dass alle Bewohner des Staates eine höhere Stufe der
Autorität anerkennen mussten und in den Angelegenheiten, in die
unterschiedliche Stämme oder Religionen verwickelt waren, konnte von den
einzelnen Führern keine Gerechtigkeit erreicht werden; sie mußten eher dem
Staatsführer oder seinen benannten Vertretern vorgetragen werden. Es war
allerdings den einzelnen Stämmen erlaubt, die nicht Muslime waren, sich auf
ihre eigenen Schriften und auf ihre Gelehrten zu berufen, was ihre eigenen
Angelegenheiten anging. Sie konnte, wenn sie wollten, aber auch den
Propheten bitten, in ihren Angelegenheiten zu richten. Gott sagt im Qur´an:
“…Wenn sie nun zu dir kommen, so richte zwischen ihnen
oder wende dich von ihnen ab...” (Quran 5:42)
Hier sehen wir, dass der Prophet jeder Religion gestattete, in ihren eigenen
Angelegenheiten ihren eigenen Schriften entsprechend zu richten, solange dies
nicht im Widerspruch mit den Artikeln der Konstitution stand; ein Bündnis, das
dem größeren Nutzen eines friedlichen Miteinander in der Gesellschaft
Rechnung trug.
Footnotes:
[1] Madinan Society at the Time of the Prophet, Akram Diya al-Umari, International Islamic
Publishing House, 1995.
(teil 2 von 2): Religiöse Autonomie und Politik
Es gibt zahlreiche andere Beispiele aus dem Leben des Propheten,
zusätzlich zur Sahiefah, die auf praktische Weise die Toleranz, die der Islam
anderen Religionen gegenüber zeigt, porträtieren.
Freiheit religiöser Versammlungen und religiöser
Selbstbestimmung
Durch die Zustimmung zur Konstitution besaßen die Juden die vollständige
Freiheit, ihre Religion auszüben. Die Juden besaßen in Medina zur Zeit des
Propheten ihre eigene Schule, mit dem Namen Bait-ul-Midras, wo sie die
Thora lasen, beteten und lehrten.
Der Prophet betonte in vielen Briefen an seine Abgesandten, dass religiöse
Institutionen nicht beschädigt werden sollten. In einem Brief an seinen
Abgesandten an die religiösen Führer von Saint Catherine auf Berg Sinai, der
den Schutz durch die Muslime erbeten hatte:
“Dies ist eine Botschaft von Muhammad ibn Abdullah als ein Bündnis mit
denjenigen, die das Christentum annehmen, nah und fern, dass wir mit
ihnen sind. Wahrlich, ich, die Helfer und meine Anhänger verteidigen sie,
denn Christen sind meine Bürger; und bei Gott! Ich leiste ihnen Beistand
gegen alles, das ihnen missfällt. Es wird keinen Zwang auf sie geben. Ihre
Richter werden nicht von ihren Posten entfernt, noch ihre Mönche aus den
Klöstern. Keiner wird ein Haus ihrer Religion zerstören, es beschädigen
oder etwas von dort in muslimische Häuser bringen. Sollte irgendjemand
etwas davon nehmen, würde er das Bündnis Gottes beschmutzen und
Seinem Propheten ungehorsam sein. Wahrlich, sie sind meine
Verbündeten und haben mein Versprechen für ihre Sicherheit, gegen alles,
was sie hassen. Keiner zwingt sie, zu reisen oder verpflichtet sie, zum
kämpfen. Die Muslime werden für sie kämpfen. Wenn eine weibliche
Christin mit einem Muslim verheiratet ist, wird nichts ohne ihre
Zustimmung stattfinden. Sie darf nicht davon abgehalten werden, die
Kirche zu besuchen, um dort zu beten. Ihre Kirchen stehen unter
unserem Schutz. Sie werden weder davon abgehalten, sie zu reparieren,
noch wird die Unversehrtheit ihrer Bündnisse angezweifelt. Keiner von
dieser Gemeinschaft (der Muslime) darf das Bündnis brechen bis zum
Letzten Tag (dem Ende der Welten).”[1]
Wie man sehen kann, bestand dieses Abkommen aus verschiedenen
Klausen, die alle wichtigen Aspekte der Menschenrechte abdeckte,
einschließlich solcher Themen wie Schutz von Minderheiten, die unter der
islamischen Gesetzgebung leben, Freiheit der Anbetung und der Bewegung,
Freiheit, ihre eigenen Richter zu benennen und Eigentum zu besitzen und zu
verwalten, Ausschluß vom Militärdienst und das Recht auf Schutz im
Kriegsfall.
Bei einer anderen Gelegenheit empfing der Prophet eine Delegation von
sechzig Christen aus der Region Najran, später ein Teil des Jemen, in seiner
Moschee. Als die Zeit für ihr Gebet kam, wendeten sie sich nach Osten und
beteten. Der Prophet ordnete an, dass sie in der Moschee gelassen werden
sollten und ihnen kein Schaden zugefügt werden durfte.
Politik
Es gibt ebenfalls Beispiele aus dem Leben des Propheten, in denen er mit
Menschen anderen Glaubens auch auf politischer Ebene kooperierte. Er wählte
einen Nicht-Muslim, Amr ibn Umaiyah ad-Damri aus, um ihn als Botschafter
zu Negus zu schicken, dem König von Äthiopien
Dies sind nur ein paar Beispiele für die Toleranz des Propheten anderen
Religionen gegenüber. Der Islam erkennt an, dass es eine Vielzahl von
Religionen auf dieser Erde gibt und gibt den einzelnen Menschen das Recht,
den Weg auszuwählen, den sie für richtig halten. Ein Individuum kann nicht
gegen seinen Willen und wurde nie gegen seinen Willen zur Religion
gezwungen und diese Beispiele aus dem Leben des Propheten, sind eine
Zusammenfassung des Qur´anverses, der Toleranz in der Religion befiehlt und
eine Richtlinie für die zwischenmenschlichen Beziehungen von Muslimen mit
Andersgläubigen darstellt. Gott sagt:
“…Es gibt keinen Zwang im Glauben...” (Quran 2:256)
Footnotes:
[1]“Muslim and Non-Muslims, Face-to-Face”, Ahmad Sakr. Foundation for Islamic
Knowledge, Lombard IL.